Viola

Ich wollte nicht daran denken. Und doch schwirrte mir das alles ständig im Kopf herum. Oma ging es schlecht, Mama und Papa waren nicht da. Wieder mal. Sie waren eh schon oft weg, aber jetzt waren sie in China, und Sven, Maddy und ich waren hier auf uns allein gestellt.

Ich hatte das Gefühl, dass mir das Haus die Luft zum Atmen nahm und rannte hinaus. Einfach weg. Ziellos schlug in den Weg zum Stadtrand ein, ohne konkretes Ziel, aber alles war besser, als hier zu sein, wo alles an meine Familie erinnerte, die jetzt aber zum Teil nicht hier war.

Obwohl es erst früher Abend war, ging ich wie fremdgesteuert in eine Disco, die in einem alten Fabrikgebäude war. Natürlich wusste ich, dass ich mit 14 hier noch nicht ohne einen Erziehungsberechtigten hinein durfte, aber da ich recht groß war und auch dank der Schminke älter wirkte, hatte ich keine Probleme gehabt, hier reinzukommen. Zwei Mädchen aus meiner Klasse waren ebenfalls schon hier gewesen, die sahen das hier also nicht so eng.

 

Die wummernden Bässe gingen mir sofort ins Blut. Was tat das gut! Endlich mal etwas anderes sehen und hören, endlich mal mit den Gedanken weit weg gehen zu können. Ich nahm mir vor, dass ich mich nun hier ein wenig amüsieren würde und ging auf die fast leere Tanzfläche, um mich zu der Musik zu bewegen.

Plötzlich wurde ich von einem Jungen angesprochen.

"Hey, Kleine!", sagte er, und ich erschrak zu Tode. Wie er >Kleine< gesagt hatte, hatte ich plötzlich eine furchtbare Angst, dass er wusste, dass ich noch nicht 16 war. War er einer der Türsteher gewesen? Das konnte ich nicht mal mehr genau sagen und verfluchte mich, hier so kopflos hinein gegangen zu sein.

Also wartete ich erst mal ab und sah ihn nur an.

"Ich habe dich hier noch nie gesehen", fuhr er dann fort, "Und ich bin oft hier". Ich schluckte. Nun, wie ein Türsteher hörte er sich nicht an.

"Äh, ja", stammelte ich. "Ich bin heute zum ersten Mal hier", sagte ich. Das war unverfänglich, oder?

"Freut mich, dass du in diesen Schuppen gefunden hast", grinste er dann, und ich wurde wieder lockerer.

"Klar, ich habe mal gedacht, ich gucke mir das mal an", machte ich ganz auf geübte Discogängerin.

"Finde ich gut! Ich bin übrigens Felix und helfe zweimal in der Woche hier an der Bar aus". Das hieß also, dass er einer der Barkeeper war. Ich wunderte mich, denn er sah nicht so aus, als wäre er schon volljährig. Obwohl, er war auf jeden Fall älter als 16 und durfte hier also eine Weile arbeiten.

"Und ich bin Viola", stellte ich mich vor.

"Schön", sagte er. "Hast du Lust, mit mir zu tanzen? Meine Schicht beginnt erst in zehn Minuten und deine Moves waren echt cool". Ich spürte, wie ich wegen seines Komplimentes rot anlief.

"Okay", sagte ich dann aber möglichst normal. Felix wollte also ausgerechnet mit mir, der vierzehnjährigen, discounerfahrenen Viola von Hohenstein hier tanzen?

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Na, wenn er sich sicher war, dass er genau das wollte: Warum nicht?

 

Wir begannen also zu tanzen, und ich merkte sofort, dass Felix im Gegensatz zu mir schon oft in einer Disco war. Aber es machte total Spaß, mit ihm hier Abzutanzen.

Und endlich kam ich so auch mal wieder auf andere Gedanken.

Die zehn Minuten, bis er arbeiten musste, waren leider viel zu schnell vorbei. Doch auch er sagte mit Bedauern in der Stimme:

"Leider muss ich mich jetzt hinter die Bar stellen. Aber ich spendiere dir einen Drink, den ersten, den ich heute mixen werde. Und garantiert ohne Alkohol", zwinkerte er mir zu. Ups! Ahnte er vielleicht schon, dass ich jünger war als ich es hier überhaupt sein durfte? Er sagte nichts mehr zu diesem Thema, sondern ging dann tatsächlich zu der Bar und ich ging ihm hinterher.

 

Felix mixte dann los, schüttete aus verschiedenen Flaschen Flüssigkeiten zusammen, schüttelte es im Shaker und goss den Cocktail dann in zwei Gläser, die er noch verzierte. Eines der Gläser reichte er mir. 

"Hier, ein Kirschenkuss", sagte er und wieder wurde ich rot. "So heißt dieser Cocktail, das ist nicht auf meinem Mist gewachsen", ergänzte er grinsend.

"Danke", sagte ich und nahm mein Glas. Er prostete mir mit seinem zu, und ich versuchte also den ersten Cocktail meines Lebens.

 

Wow, schmeckte der gut!

"Lecker", sagte ich dann zu Felix, der sich sichtlich freute.

"Freut mich, dass er dir schmeckt", sagte er.

"Wie bist du denn an diesen Job hier gekommen?", fragte ich neugierig.

"Meinem Onkel gehört der Laden hier", antwortete Felix. Ach, jetzt war mir so einiges klar!

"Und musst du helfen oder machst du das freiwillig?", wollte ich weiter wissen.

"Das ist ganz freiwillig. Mir macht der Job an der Bar Spaß. Außerdem schadet es nicht, wenn ich als angehender Koch ein bisschen mixen kann".

"Du wirst Koch?", fragte ich.

"Ja, ich bin im zweiten Lehrjahr. Deshalb arbeite ich hier auch nur zweimal die Woche und dann jeweils für drei Stunden. Sonst wäre mir das zuviel neben der Lehre"

"Kann ich gut verstehen. Ich kämpfe schon mit der Schule", seufzte ich auf.

"Also, ich kann nicht sagen, dass ich nicht froh bin, die Penne hinter mir gelassen zu haben", sagte er und ich beneidete ihn ein wenig. "Sorry, Viola, ich würde wirklich gern weiter mit dir quatschen, aber ich sollte jetzt wieder hinter die Theke stehen", entschuldigte er sich.

"Klar, kein Problem. Ich werde jetzt dann eh wieder gehen. Und danke für den Drink nochmal!"

"Gern geschehen. Wirst du wieder mal hierher kommen?", fragte mich dann Felix schon beim Gehen. Und obwohl ich mir über diese Frage bisher keine Gedanken gemacht hatte, sagte ich schon fast automatisch:

"Bestimmt. An welchen Tagen bist du hier?, fragte ich ihn.

"Mittwochs und Samstags", antwortete er mir noch, bevor er dann seine Arbeit an der Theke aufnahm. Ich stellte mein Glas ab und ging dann nach Hause.

Zuhause wurde ich dann von einem besorgten und angesäuerten großen Bruder in Empfang genommen. Er hielt mir eine Standpauke, die sich gewaschen hatte, weil ich ohne eine Wort so lange unterwegs gewesen war. Gut, das war nicht richtig gewesen, aber musste er mich gleich so anfahren? Mein Kopf dröhnte noch so von der Disco.

 

In meinem Zimmer, das ich mir mit Maddy teilte, sah ich, dass meine Hausaufgaben unangetastet auf dem Schreibtisch lagen. Oh, verdammt, die hatte ich in der ganzen Aufregung völlig vergessen.

 

Ich blickte kurz in das Deutschheft. Gedichtinterpretation war das Thema, wir mussten eine Interpretation eines Gedichtes aus unserem Deutschbuch schreiben. Aber dafür hatte ich jetzt wirklich keinen Kopf mehr. Die ungewohnte laute Musik in der Disco hatte mir Kopfschmerzen verursacht und die Standpauke von Sven hatte mir den Rest gegeben, deshalb wollte jetzt nur noch eines: Nämlich schlafen.

Am nächsten Morgen frühstückte ich mit einem ganz schönen Brummschädel, dabei hatte ich ja gestern Abend keinen Tropfen Alkohol zu mir genommen.

 

Und ich sah, dass ich nicht nur meine Hausaufgaben vergessen hatte, sondern auch, den Tisch abzuräumen, was meine Aufgabe gewesen war. Jetzt standen die Reste vom Salat noch hier herum und gammelten vor sich hin.

Meine Schwester kam dann auch zum Frühstücken.

"Bäh, hier stinkt es ja!", reagierte sie sofort auf den gammelnden Salat.

"Ja, tut mir leid, ich habe vergessen, die Teller aufzuräumen", entschuldigte ich mich halbherzig. Was war schon dabei? Als hätten wir gerade keine anderen Probleme...

"Kann ja mal passieren", sagte Madeleine versöhnlich. "Wo warst du eigentlich gestern Abend? Sven und ich haben lange auf dich gewartet und uns schon Sorgen gemacht. Ans Handy bist du ja auch nicht", fuhr sie fort. Ich seufzte auf. Die nächste Standpauke also.

"Ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen macht, aber ich habe etwas die Zeit vergessen", stammelte ich.

"Und wo warst du?", hakte Maddy nach.

"Verpetze mich nicht, wenn ich dir das jetzt sage, ja?", fragte ich.

"Okay, versprochen", sagte sie.

"Ich war in der Schinderei, dieser Disco am Waldrand, die mal ein Lager oder eine Fabrik oder so etwas war". Nun sah mich Maddy überrascht an.

"Du warst in einer Disco?"

"Ja, ich bin da irgendwie gelandet und die Türsteher haben mich durchgelassen. Es war ganz spaßig", sagte ich. "Aber bitte kein Ton zu irgendjemandem! Wenn das Mama und Papa erfahren, bin ich geliefert!"

"Ich sage nichts. Aber du solltest da nicht mehr hingehen, schon gar nicht allein, Viola!", beschwor mich Madeleine und stand mit ihrem Teller wieder auf. Das konnte ich ihr nun nicht versprechen, weil ich wusste, dass ich wieder hingehen würde. Schon allein, um Felix zu treffen. Der war einfach zu cool.

"Du hast dein Essen kaum angerührt", lenkte ich also vom Thema ab.

"Ich habe nicht so großen Hunger", antwortete Madeleine.

"Ich weiß auch warum", grinste ich, "Maddy ist verliebt, Maddy ist verliebt!", zog ich sie auf, und meine Schwester ging schnaubend davon. Dabei sah das ein Blinder, dass sie diesen einen Kerl aus unserer Parallelklasse anhimmelte wie sonst noch was.

 

Ich stellte meinen Teller und auch die Teller mit dem restlichen Salat in die Küche und richtete mich dann für die Schule. Wie ich unserer Deutschlehrerin meine fehlenden Hausaufgaben erklären sollte, wusste ich auch noch nicht, und sie nahm das recht streng.

Ich hatte Glück gehabt: Unsere Lehrerin hatte beide Augen zugedrückt, weil ich sonst meine Hausaufgaben machte. Vielleicht hatte sie ja auch Verständnis für unsere Situation gerade, oder sie hatte einfach einen guten Tag erwischt gehabt. Und da heute Freitag war, hatte ich das ganze Wochenende Zeit, die Hausaufgaben nachzuholen.

"Gut, dass das so gut ausgegangen ist!", sagte Maddy, als wir die Schule verließen.

"Das kann ja mal passieren", sagte ich übel gelaunt. Wirklich, wie konnten sie alle so weitermachen, als wäre alles in Ordnung? Da lag Oma Pauline in China und keiner wusste, was sie hatte, und ich sollte hier also weiter so tun, als wäre die Schule das Wichtigste auf der Welt? Und das Maddy ihre Hausaufgaben im Schlaf machte, konnte ich mir denken. Ihr fiel das Gymnasium soviel leichter als mir, aber es war irgendwie nie eine Frage gewesen, dass ich auf eine andere Schule ging. Sven war auf dem Gymi und ein ziemlich guter Schüler, Maddy schaffte die Schule mit links und schrieb selbst jetzt in dieser Situation eigentlich nur Einsen, nur ich musste mich da durchkämpfen.

Zuhause rief Sven dann sofort bei unserer Mutter an und fragte, wie es Oma ging. Noch während er der Antwort von ihr lauschte, sah ich an seinem Gesicht, dass es unverändert schlecht war oder sich sogar verschlimmert hatte.

Niedergeschlagen setzte ich mich dann an den Schreibtisch, um meine Hausaufgaben zu machen.

Doch ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren. Meine Oma lag im Sterben, das hatte meine Mutter jetzt am Telefon nicht mehr beschönigt. Sie rechneten jeden Tag damit. Meinem Opa ging es ebenfalls sehr schlecht, wegen Oma, und er hatte schon diverse Beruhigsmittel gespritzt bekommen. Oma war immer gesund gewesen, aber jetzt schien es, als wollte sie einfach nicht mehr leben.

Am Samstag hatte ich mir vorgenommen, diesen Cocktail, den mir Felix gemixt hatte, an unserer Hausbar mal selbst zu probieren. Ich hatte mir im Internet das Rezept für den Kirschenkuss herausgesucht und festgestellt, dass uns noch ein paar Säfte für diesen Cocktail fehlten.

 

Also machte ich mich auf ins vino, um den Saft dort zu besorgen.

 

Und traf dort auf Felix.

"Hey, Viola!", begrüßte er mich sofort.

"Hallo, Felix", grüßte ich erfreut zurück. "Was machst du denn hier?". Es freute mich ungemein, dass wir uns hier jetzt zufällig getroffen hatten.

"Ich hole noch etwas Saft für die Bar. Hier gibt es ein paar ausgezeichnete Sorten zum Mixen", antwortete er. 

"Das wusste ich gar nicht", sagte ich und kam mir schon während ich das sagte ziemlich blöd vor. Natürlich wusste ich das nicht. Woher denn auch? Ich mixte ja schließlich nicht. Obwohl ich das ja jetzt ändern wollte.

"Sehen wir uns heute Abend?", fragte mich dann Felix.

"Vermutlich schon", antwortete ich sofort, und er freute sich sichtlich.

"Okay, dann bis später!", sagte er.

"Ja, bis später", gab ich zurück und kaufte den Saft, den ich brauchte.

Zu Hause ging ich dann in unseren Keller, wo die Hausbar stand, die aber kaum benutzt wurde. Ich sah mir an, welche Gerätschaften ich zur Verfügung hatte und machte mich mit der Bar vertraut.

 

Und dann legte ich einfach los. Das Rezept für den Kirschenkuss hatte ich mir ausgedruckt und versuchte nun, es genauestens zu befolgen:

 

Kirschenkuss

9 cl Kirschsaft, 5 cl Ananassaft, 3 cl Zitronensaft, 2 cl Kirschsirup, 1/4 Ananasscheibe,
1 Cocktailkirsche.

Alle Zutaten zusammen im Shaker mit Eiswürfeln schütteln und in ein Long-Drink-Glas seihen. Die Kirsche mit einem Sticker an der Ananasscheibe befestigen und an den Glasrand stecken.

 

 

Das hörte sich ja nicht allzu schwer an. Auf die Cocktailkirsche samt Ananas am Glasrand verzichtete ich, den Rest befolgte ich nach Anleitung. Doch als ich den Drink dann probierte, schmeckte er bei weitem nicht so gut wie der von Felix. Was hatte ich nur falsch gemacht?

Später ging ich dann natürlich in die Schinderei. Es war aufregend, überhaupt hier zu sein, und natürlich auch, diesen coolen Jungen zu sehen. Er war total anders als die in unserer Klasse. Ich hatte mich auch ein bisschen herausgeputzt und war wieder ohne Probleme hier hereingekommen.

"Hey, schön, dass du gekommen bist!", freute sich Felix.

"Na ja, ich dachte, ich schau` mal vorbei", gab ich mich cool. Dabei war das ja alles noch totales Neuland für mich.

"Und? Lust auf einen Drink?", fragte er mich.

"Aber gerne doch!", freute ich mich und war schon gespannt, was er mir heute mixen würde.

Ich schaute ihm ganz genau zu, wie er mixte. Seine Handgriffe saßen natürlich perfekt, während ich mich ja so abgemüht hatte. Aber das war ja auch kein Wunder, immerhin machte er das schon viel länger als ich und hatte sicher auch eine richtige Anleitung von seinem Onkel oder anderem professionellem Personal bekommen. Aber ich war so fasziniert, dass ich mir jetzt schon vornahm, diesen Drink ebenfalls bei uns zu Hause zu mixen.

"Hier, einmal einen Göttertrunk für die hübsche Lady", schmeichelte mir Felix.

"Danke", sagte ich. Göttertrunk? Was es doch nicht alles für Namen gab!

"Dann lasse ihn dir schmecken!". Ich kostete von dem Getränk, und stellte erleichtert fest, dass auch hier kein Alkohol enthalten war. Felix ahnte also ganz bestimmt, dass ich noch nicht 16 Jahre alt war. Ich schmeckte Orangensaft und Kirschsaft heraus, und es schmeckte total süß.

"Der ist toll", sagte ich. "Was ist da alles drin? Ich bin mal auf Kirsche und Orange gekommen, aber da muss noch etwas sein".

"Du bist echt gut", sagte Felix bewundernd, "Im Göttertrunk kommt außer den zwei von dir genannten Säften noch Zuckersirup hinein. Und hast du gesehen, wie ich ein Eigelb reingeschlagen habe? Aus diesen vier Zutaten besteht dieser Cocktail"

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal ein Eigelb roh trinken würde", grinste ich ihn an. Ich blieb dann noch eine Weile, ließ mir den Drink schmecken, den ich diesmal aber ganz offiziell bezahlte, tanzte ein bisschen auf der Tanzfläche und fühlte mich ziemlich gut hier. Zumindest dachte ich hier drin mal für ein paar Minuten nicht an Oma.

Zuhause übte ich dann wirklich auch diesen Drink, druckte mir aber auch noch andere Rezepte heraus, die ich ebenfalls mal kosten wollte.

 

In den nächsten Tagen war ich mehr im Keller, um zu üben, oder auch in der Schinderei bei Felix, um von ihm direkt zu lernen. Und wenn er Zeit hatte, zeigte er mir tatsächlich Kniffe und Tricks, die in keinem Buch der Welt standen sondern aus Erfahrung gemacht wurden. Und mit der Zeit wurde ich wirklich immer besser. Mir machte das mehr und mehr Spaß.

Ich war schon recht zufrieden mit mir, als ich Felix mal zu uns einlud, damit ich ihm einen Drink präsentieren konnte. Als er dann tatsächlich vor unserer Tür stand, war ich natürlich schon nervös. Er war immerhin ein Meister-Mixer und ich eine blutige Anfängerin. Und doch konnte ich natürlich nur was lernen, wenn ich ihn mal meine Kreationen probieren ließ.

"Hey", begrüßte ich ihn.

"Hey", gab er lässig zurück, und ich führte ihn ins Haus und in unseren Keller.

"Nicht schlecht", sagte Felix, als er sich in dem Raum umgesehen hatte. "Ihr habt hier ja eine richtige Nektarpresse stehen!"

"Ja, mein Opa hat das ganz gern gemacht. Jetzt aber schon lange nicht mehr". Ich hielt inne und versuchte diesen Druck wegzubekommen, der sich sofort wieder beim Gedanken an Opa und Oma aufgebaut hatte. Weil ich Felix schon mal erzählt hatte, warum ich an dem ersten Abend in die Schinderei gegangen war, konnte er sich jetzt vielleicht denken, weshalb es mir schwer fiel, darüber zu reden. Zumindest bohrte er nicht weiter, sondern sagte:

"Okay, dann zeige mal, was du gelernt hast"

Ich stellte mich also hinter die Theke und begann, einen Caribbean zu mixen. Und Felix gab mir auch da noch wertvolle Tipps.

"Denke daran, dass du die Sahne nicht zu früh aus dem Kühlschrank holst, denn die muss kalt sein", sagte er zu mir.

"Okay", sagte ich und schüttete die restlichen Getränke in den Shaker.

"Wenn du genug Eis im Shaker hast, musst du nur etwa zehn Sekunden schütteln. Das reicht, um einen cremigen Caribbean zu mixen. Wenn du dann noch das Sieb aus dem Shaker nimmst, kannst du mit einem Löffel den Schaum oben auf das Glas setzen, was immer einen tollen, cremigen Effekt hat". Das war ein guter Tipp, denn das hatte ich bisher nicht gewusst. Ich servierte meinen Drink mit einem netten Strohhalm.

"Die Stunde der Wahrheit", flachste ich, als ich ihm das Glas gab. Er grinste mich an und nahm dann einen kräftigen Schluck.

"Wirklich gut", war dann sein Urteil. "Wie gesagt, die Zutaten könnten noch ein bisschen kühler sein, aber ansonsten ist das gut geworden. Und dir macht das wirklich Spass?". Ich freute mich über sein Urteil.

"Ja, sonst würde ich es kaum machen, oder?"

"Könntest du dir vorstellen, einmal professioneller zu Mixen? Ich meine, wenn du älter bist. Ich habe mit 16 angefangen". Felix war jetzt im Bilde, was mein Alter anbelangte. Dass ich noch keine 16 war, hatte er schon am ersten Abend geahnt.

"Ich denke schon. Aber zuerst muss ich mich noch ein bisschen durch die Schule kämpfen", sagte ich bedauernd.

"Ja, Schule. Wie gut, dass ich die hinter mir habe"

"Ich wäre auch froh, glaube mir. Aber so sind es noch ein paar Jährchen zum Absitzen"

"Ich habe eine Idee, wie man wunderbar Frust ablassen kann. Hast du Lust?"

"Lust zu was?", fragte ich misstrauisch.

"Na, komm` mal mit! Ich zeige dir was, nachdem es dir dann sicher besser gehen wird"

Felix fuhr mit mir an meine Schule, und verwirrt stieg ich aus.

"Und was sollen wir jetzt hier?", fragte ich.

"Ich bin sicher, dass du noch niemals auch nur einen winzigen Streich gemacht hast. Habe ich recht?"

"Einen Streich?", fragte ich verblüfft. Was sollte das denn jetzt? Waren wir im Kindergarten, oder was?

"Habe ich es mir doch gedacht", sagte er. "Noch kein einziges Mal jemandem Eier vor die Türe geworfen? Geklingelt, und dann wieder abgehauen? Die Frösche in der Schule freigelassen?"

"Ääh, sollte ich das denn getan haben?", fragte ich nach.

"Viola, so etwas gehört doch dazu! Lass` doch einfach mal ein bisschen Dampf ab! Die Schule ärgert dich gerade. Gut. Dann gib es ihr zurück!". Ich wurde immer verwirrter.

"Aber... Was soll das bringen?", stammelte ich.

"Das wirst du schon sehen"

"Soll das heißen, dass ich jetzt und hier etwas anstellen soll?", rief ich aus.

"Die Gelegenheit ist günstig. Keine Menschenseele außer uns beiden ist hier. Also, worauf wartest du noch?". Ich schluckte. Ich hatte keine Ahnung, was das bezwecken sollte, wenn ich jetzt der Schule einen Streich spielte. Natürlich war ich gefrustet, aber dieser Frust war ja nicht weg, wenn ich hier irgendetwas anstellte.

"Ich schiebe Wache. Also, viel Spass wünsche ich dir!". Unsicher ging ich in meine Schule. Okay, und was jetzt? Hatte Felix nicht etwas von Fröschen freilassen gesagt? Ich ging in Richtung unseres Biologieraumes, machte die Tür auf. Niemand da. Also schlich ich mich in den Nebenraum, in dem die Frösche in ihren Terrarieren saßen. Und in dem Moment, als ich zehn der Frösche in die Freiheit entlassen hatte, wurde die Tür aufgerissen und der Hausmeister schaute herein. Ich erschrak zu Tode! Natürlich wurde die Schulleitung informiert, und das Ende vom Lied war, dass ich am nächsten Tag nachsitzen durfte. Super! Jetzt fühlte ich mich natürlich viel, viel besser, dachte ich ironisch. Und es wunderte mich kein bisschen, dass von Felix nichts mehr zu sehen war, als ich die Schule verließ.

Diese Niederlage hätte andere wieder zur Vernunft gebracht, nicht so mich. Ich empfand es als ein persönliches Versagen, dass ich bei diesem klitzekleinen Streich erwischt worden war, und wollte mir nun beweisen, dass ich es besser konnte.

 

Und nachdem ein Telefonanruf bei meiner Mutter ergeben hatte, dass es Oma immer schlechter ging, war ich so gefrustet, dass ich mir eine Papiertüte schnappte, in die altes Zeitungspapier stopfte, und damit zu der schrulligen Josefine am Ende unserer Straße ging, die uns als Kinder immer von ihrem Grundstück gescheucht hatte.

Ich stellte die Tüte vor die Haustür und brannte sie kurzerhand an.

Weil ich natürlich nicht wollte, dass das ganze Haus abfackelte, klingelte ich und versteckte mich dann. Und wirklich kam sie dann an die Tür, um zu sehen, wer geklingelt hatte und erschrak fürchterlich, als sie die brennende Tüte sah. Sofort stampfte sie auf der Tüte herum, um das Feuer auszumachen, und schrie immer wieder "Aua!", was mich köstlich amüsierte.

 

Und Felix hatte recht gehabt: Das hatte jetzt gut getan. Ich fühlte mich irgendwie stärker als davor.

 

 

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