Diese Jugend von heute!

Pauline und ich zehrten lange von unserer schönen Hochzeit, doch irgendwann hatte auch uns der Alltag wieder. Megara gewöhnte sich schnell an die neue Situation, was auch nicht so schwer war, da sich ja eigentlich nichts geändert hatte, außer, dass Pauline nun ebenfalls von Hohenstein hieß. Auch sonst war sie ein pflegeleichtes Kind. Sie war sehr ruhig, malte oft oder dachte sich Geschichten aus, die sie auch aufschrieb. Sie war fast schon zu ruhig, auch was Freunde anging. Die einzige gleichaltrige Person, die sie zu ihren Freunden zählte und auch bei uns anzufinden war, war Samuel Potter.

 

Unser nächstes großes Projekt stand schon an, unser Garten war einfach keine Augenweide, und das musste geändert werden. Die Firma, die bei uns nun keinen Stein mehr auf dem anderen lassen würde, unterkellerte auch unser Haus, damit wir unseren Krempel unterbringen konnten.

 

Vom Ergebnis waren wir wirklich beeindruckt:

Unsere neue Terrasse war mit den vielen Pflanzen zu einem gemütlichen Platz geworden.

Meine Gemüsepflanzen bekamen einen neuen Platz, doch die pflanzte ich natürlich selbst um. Die Bäume zu versetzen war ein kleines Abenteuer gewesen, das ich ohne die Hilfe von Johannes und Gobias nicht geschafft hätte. Ein paar der Pflanzen hatten den "Umzug" nicht überstanden, leider, doch die meisten gediehen an dem neuen, sonnigeren Ort sogar besser als zuvor.

Das ist der Grundriss unseres neuen Kellers, hier noch im Rohbau. So haben wir einige Quadratmeter mehr an Platz, den wir nun vollstellen können.

Pauline und ich genossen unsere neue Terrasse sehr, es war herrlich, dort faul herumzuliegen.

Warum uns allerdings Johannes immer wieder auslachte und als alberne Teenager titulierte, weiß ich wirklich nicht!

Megara bekam von ihren Verwandten aus China eine Schaukel und eine Rutsche geschenkt, und mit denen hatte sie sichtlich Spass!

Auch Samuel war begeistert von Megaras neuen Spielgeräten und war nun noch öfter bei uns. Seine Mutter, Liane, konnte sich soetwas ja leider nicht leisten. Sie war immer noch allein erziehend und hatte genug damit zu kämpfen, sich und Samuel mit dem Nötigsten zu versorgen. Immer wieder steckten wir ihr etwas zu oder luden sie zum Essen zu uns ein, wenn sie aus stolz kein Geld annehmen wollte, was ich verstand. Und natürlich half es ihr auch, dass Samuel zu uns kommen und sie dann arbeiten konnte. Megara hatte dafür ihren liebsten Spielkameraden oft bei sich, und die beiden waren schon fast wie Bruder und Schwester.

Samuel wurde zu Megaras engstem Vertrauten. Ich war mir nicht sicher, ob es gut für unser Kind war, sich nur auf eine andere gleichaltrige Person einzulassen, und besprach meine Sorge mit Pauline. Doch auch sie war ratlos, wie sie damit umgehen sollte. Wir wollten erstmal abwarten und sehen, wie sich das alles noch entwickelte. Vielleicht erledigte es sich ja von allein mit der Zeit und wir machten uns unnötig einen Kopf. 

Johannes` Möbel waren aus China eingetroffen und er hatte sich sein Zimmer toll damit eingerichtet. Die alten Möbel hatten wir entsorgt, und hier erinnerte nun wirklich nichts mehr an Gernot Lutzenbacher.

Auch Mandy wohnte wieder in Sunset Valley, nachdem sie ihren polizeilichen Einsatz bewältigt hatte. Sie und Johannes hatten einen guten Draht zueinander, sie unterhielten sich oft und lange.

 

Und das hier war Mandys umwerfendes, verspätetes Hochzeitsgeschenk für uns:

Ein Aquarium!

 

Ich setzte ein paar selbst gefangene Fische hinein und hoffte, dass ich sie durchbrachte. In Aquaristik kannte ich mich leider nicht so gut aus und musste mich erstmal mit entsprechender Literatur eindecken.

Mein Vater und ich standen in regem Kontakt zueinander, seit wir versuchten, das alte Familienanwesen zu erwerben.

 

Dass das schwerer war als gedacht, muss ich wohl nicht extra erwähnen. Die Behörden legten uns nur jeden erdenklichen Stein in den Weg. Mal ging es um Schweigepflicht, dann wurden wir schräg angeschaut, weil mein Urgroßvater ein Nazi war, dann fehlten wieder Formulare, ohne die eine weitere Bearbeitung unmöglich war und die wir schlicht nicht besaßen. Oft kam es uns so vor, dass wir nach einem Schritt, den wir vorwärts gekommen waren, wieder zwei Schritte zurückgeschmissen wurden. Mehrmals stand ich davor, einfach alles hinzuschmeißen, doch dann erinnerte ich mich an mein Versprechen und versuchte erneut, irgendein Amt dazu zu bringen, uns den aktuellen Eigentümer des Hauses zu nennen. Doch wir kamen einfach nicht richtig voran.

Doch dann hatte Megara die Ferien, auf die wir schon so lange gewartet hatten, denn wir machten uns endlich auf den Weg in unsere Flitterwochen! Pauline, Megara und ich ließen uns mit Paulines Limousine zum Flughafen bringen, man gönnte sich ja schließlich sonst nichts!

Champs le Sims, wir waren da! Schon allein dieser Ortswechsel ließ schnell jeden Stress von mir abfallen.

Wir erkundeten die wunderschöne Umgebung von Champs le Sims und kamen dabei zu diesem Anwesen. Von einem Hotelprospekt wussten wir, dass wir vor dem Nektarium standen, in dem man besonders köstlichen Nektar kaufen konnte. Außerdem durfte man die Räume besichtigen und sogar selbst probieren, einen eigenen Nektar herzustellen. Wir beschlossen, hineinzugehen.

Drinnen schlug uns der süßliche Duft des hier gelagerten Nektars entgegen und vermischte sich mit dem Geruch des alten Holzes der Regale und Fässer. Während Megara schon zwischen den Regalen verschwunden war, wussten Pauline und ich nicht, wo wir zuerst anfangen sollten.

Ein freundlicher Mitarbeiter kam auf uns zu.

"Kann isch ihnen `elfen?", fragte er mit starkem Akzent.

"Nun ja, vielleicht!", antwortete ich und war froh, nicht mein schlechtes Schulfranzösisch auspacken zu müssen, von dem ich die Hälfte sowieso wieder verlernt hatte.

"Ich würde mich für die Nektarerstellung interessieren, denn ich habe noch nie gesehen, wie das gemacht wird. Meine Frau würde gerne an der Nektarprobe teilnehmen, die hier stündlich stattfindet"

"Aber gern, Monsieur!", sagte der Mann. "Isch seige ihnen die Nektarpresse. Isch erkläre ihnen, was sie tun müssen, dann können sie ihren eigenen Nektar `erstellen. Trauben finden sie auf unserem Feld `inter dem `aus". Dann nannte er mir einen Preis, der das kosten sollte, und ich war einverstanden.

Während also Pauline an der Nektarprobe teilnahm...

... und sich Megara wie auf einem Abenteuerspielplatz vorkam...

... versuchte ich, einen eigenen Nektar herzustellen. Was hatte dieser freundliche Mann gesagt? Die Früchte gehörten in den Zuber, soviel stand fest.

Und dann?

 

Ah, richtig: Die Früchte mussten zerstampft werden. Hatte ich das auch wirklich richtig verstanden, dass man sich dabei fast nackt ausziehen musste? Und iiiih, war das glitschig!

 

Pauline kicherte schon im Hintergrund.

Danach machte die Maschine den Rest von allein, man brauchte nur ein wenig Geduld. Doch schließlich war es soweit: Mein erster, eigener Nektar war fertig!

Pauline und ich kosteten davon. Gut, er war nicht perfekt, aber doch genießbar. Pauline, die ja bereits einige der anderen Nektare probiert hatte, meinte, dass ich nächstes mal vielleicht den Anteil der Trauben, die hier wuchsen, ein wenig erhöhen sollte.

"Ein nächstes mal wird es wohl so schnell nicht geben", gab ich zu bedenken, da wir ja so eine Nektarpresse nicht besaßen.

"Warum nicht? Hat es dir nicht gefallen, qin`àide?", wollte Pauline wissen.

"Doch, das schon", sagte ich. "Doch zum Nektar herstellen benötigt man eben diese Presse, und wir haben nunmal keine"

"Hm", machte Pauline, sagte aber nichts weiter dazu. Schließlich war es an der Zeit, nach Megara zu sehen. Wir suchten sie ziemlich lange, bis wir sie im Keller des Gebäudes fanden, wo alte Fässer, Strohballen und auch Nektarflaschen gelagert waren. Sie war ganz begeistert von dem alten Gemäuer und erzählte uns, was sie alles gesehen hatte.

"Daddy, Mummy! Es war ganz schön unheimlich hier, aber auch soo spannend!", meinte Megara.

Nach einem tollen, französischen Abendessen brachten wir unsere müde Tochter ins Bett, bevor auch wir den Weg in das Schlafzimmer fanden.

"Wô'àini", flüsterte Pauline mir zu, als wir uns auf dem Bett fest hielten. Diese Worte musste sie mir nicht mehr erklären, denn ich wusste, was sie bedeuteten.

"Wôye'àini", flüsterte ich zurück und küsste sie. Sie schmeckte süß nach Pauline, wir waren in unseren Flitterwochen, unser Kind schlief, und deshalb bewies ich ihr meine Worte von eben nun auch körperlich.

 

Ja, ich liebte sie und konnte mein Glück immer noch nicht richtig fassen, dass sie mich geheiratet hatte.

In den nächsten Tagen ließen wir einfach unsere Seele baumeln und machten auch die Dinge, für die man sonst keine Zeit hatte. Ich hatte z. B. schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr geangelt, das machte ich hier, während Pauline ein Mittagsschläfchen hielt. Auch Megara lieh sich eine Angel und ließ sich von mir zeigen, auf was sie achten musste.

 

Wir fingen sogar ein paar Fische, und Megara hatte sogar einen Frosch an der Angel.

Im Ortsinneren von Champs le Sims gab es nette Cafes und sonstige Läden, in denen man einkaufen konnte. Und überall hing Liebe in der Luft, was mich nicht wunderte, schließlich waren wir hier in Frankreich.

Doch viel zu schnell waren unsere freien Tage und damit auch die Flitterwochen vorbei und wir kamen gut erholt und mit vielen gewonnenen Eindrücken wieder nach Hause.

 

Ich ahnte schon, dass ich das wunderbare Essen in Frankreich vermissen würde, doch ich hoffte, dass ich mir davon wenigstens ein klein wenig aneignen konnte, denn ich hatte mir Rezeptebücher gekauft. Auch hatte ich mir verschiedene Traubensorten mitgebracht und hoffte, dass sie hier genauso gut wachsen würden wie in Frankreich.

Nur kurz nach unseren Flitterwochen wurde ein großes Paket angeliefert, das an mich adressiert war. Ich war erstaunt, denn ich konnte mich nicht erinnern, das ich etwas in diesen Ausmaßen bestellt hatte.

 

Ich packte es auf und war total baff, als vor mir eine Nektarpresse stand! Wer hatte die mir geschickt? Der Lieferschein war auf französisch und ich verstand nicht gerade viel.

 

Pauline klärte mich dann auf: Sie hatte mir die Nektarpresse gekauft! Sie hatte mit dem netten Mitarbeiter in dem Nektarium gesprochen und erfahren, dass er eine neue Presse bekommen und uns dafür die alte zu einem Schnäppchenpreis überlassen würde. Sie war voll funktionsfähig und auch von den Mitarbeitern des Nektariums noch einmal gecheckt worden.

 

Ich freute mich riesig! Nun konnte ich meine eigenen Nektarsorten herstellen!

So sieht nun unser fertiger Keller aus. Wir mussten wegen der Presse nochmal etwas an den Wänden ändern lassen, aber das war nur eine Kleinigkeit. Vorne ist nun also die Nektarpresse samt Nektarregalen und einem gemütlichen Sitzplatz, wo wir die neuen Nektare gleich probieren konnten. Dahinter befand sich ein kleiner Partyraum für unsere Festivitäten, der kleine Raum daneben war für ausrangierte Dinge da.

Mit neuen Elan arbeitete ich in meinem Garten. Ich pflanzte die neuen Trauben ein und düngte sie mit dem Dünger, den man mir in Frankreich empfohlen hatte. Während die anderen noch schliefen genoss ich es, im Sonnenaufgang in völliger Ruhe im Garten zu arbeiten. Das war eine besondere Tageszeit für mich. Der Tau glänzte dann noch auf den Blättern und Früchten meiner Pflanzen, die Vögel begannen, ihre fröhlichen Lieder zu singen. Leider schaffte ich es nicht immer, schon so früh auf den Beinen zu sein, aber wenn, fühlte ich mich glücklich und ausgeglichen. 

Auch Pauline arbeitete gerne im Garten. Sie verstand schon sehr viel davon, das Meiste hatte sie sich selbst angeeignet, doch auch ich konnte ihr so manchen Tipp geben. Es machte mir viel Spass, gemeinsam mit ihr unser Gemüse und Obst zu pflegen.

 

Auch wenn ich mich dann manchmal ablenken ließ.

Was mich besonders freute: Die Multikultipflanzen, die wir von Gobias zur Verlobung geschenkt bekommen hatten, waren wohl ausgereift. Er hatte ja gesagt, dass ich mich melden sollte, wenn sie etwa so groß wie Tomatensträucher wären. Und das war jetzt soweit.

 

Ich rief also im Institut an und verlangte nach ihm, nachdem sich eine Kollegin gemeldet hatte. Sie wurde plötzlich sehr ernst, und mit leiser Stimme sagte sie etwas zu mir, dass ich fast nicht glauben konnte.

Gobias war gestorben. Ganz still hatte er diese Welt verlassen und war auf seinen Wunsch hin nur im engsten Familienkreis beigesetzt worden. Im engsten Familienkreis bedeutete bei ihm von seiner Schwester, deren Sohn und dessen Familie, mehr Verwandte hatte Gobias nicht mehr. Erschüttert stand ich an seinem Grab in Sunset Valley. Ich hatte einen sehr guten Freund verloren.

 

Das er das Geheimnis um die Multikulti mit ins Grab genommen hatte, interessierte mich in diesem Moment überhaupt nicht.

Ein paar Tage nach dieser Schreckensnachricht nahm mich eines Abends Johannes auf die Seite, als wir allein im Flur standen.

"Gabriel, kann ich dich etwas fragen?", wollte er wissen. Ich war erstaunt, denn seine Stimme klang nicht so fröhlich wie sonst, sondern eher niedergeschlagen und angespannt.

"Natürlich", antwortete ich.

"Bitte wundere dich nicht, dass ich das nicht mit meiner jiè bespreche, aber ich denke, du kannst am besten nachfühlen, wie es mir im Moment geht, deshalb frage ich dich". Ich überlegte. Bei was konnte ich ihm wohl besser helfen als seine eigene Schwester?

"Okay, dann schieß mal los!", ermutigte ich ihn zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag.

"Es geht um meinen Job im Wissenschaftlichen Institut", sagte Johannes.

"Hast du Probleme mit einem Kollegen, den ich auch kenne?", fragte ich weil ich vermutete, dass er nun von mir wissen wollte, wie er mit demjenigen besser klarkommen konnte. Doch Johannes schüttelte den Kopf.

"Nein nein, das ist alles in Ordnung". Er machte eine kleine Pause.

"Ich möchte nicht mehr dort arbeiten, Gabriel. Es erfüllt mich nicht. Ich möchte Menschen helfen, die in Not geraten sind. Aber dort sehe ich immer nur Pflanzen und Maschinen, komische Substanzen und Versuche. Ich halte das einfach nicht mehr aus". Jetzt verstand ich!

Ich setzte mich auf die Couch und Johannes ließ sich neben mich ebenfalls darauf fallen.

"Ich weiß, warum du mich das fragst", sagte ich zu ihm, denn auch Johannes kannte inzwischen meine Geschichte.

"Aber wie kann ich dir nun helfen? Ich kann dich natürlich ermutigen, deinen Weg zu gehen, das ist klar. Es wäre komisch, wenn gerade ich was anderes sagen würde. Doch du musst den Schritt letztlich alleine gehen. Was würdest du denn gerne arbeiten, weißt du das schon?". Johannes nickte.

"Ja, ich möchte gerne Arzt werden", sagte er sofort und ohne nachzudenken. Er wusste also, was er wollte. Es gab nur ein kleines Problem.

"Du müsstest Abitur machen, um Medizin studieren zu können", gab ich zu bedenken.

"Ich weiß, das ist es doch gerade!", sagte Johannes verzweifelt. "Wie soll ich das schaffen? Ich kann doch jetzt nicht wieder die Schulbank drücken! Mein Einkommen würde wegfallen, das möchte ich natürlich nicht..."

"Warte mal, das ist das kleinste Problem!", warf ich ein. "Du würdest natürlich von uns unterstützt werden, wenn du dich dazu entschließen solltest, dein Abitur hier nachzuholen. Ich bin mir sicher, dass auch Pauline so denkt. Das ist also kein Hinderniss!". Johannes seufzte erleichtert auf.

"Ist das wahr? Das würdet ihr für mich tun?"

"Natürlich!", sagte ich bestimmt.

"Das ist gut zu wissen. Ich würde es so gerne wagen..."

"Dann versuche es doch! Du hast dich doch im Grunde sowieso schon entschieden, oder?"

"Ja, das stimmt"

"Na, siehst du!", sagte ich. "Du kannst es schaffen! Da bin ich sicher!" Ich wollte mich schon erheben, da ich dachte, dass nun alles gesagt war, als Johannes mich zurückhielt:

"Ich muss dir noch etwas sagen". Ich sah ihn erstaunt an und wartete, was nun kam. Und konnte es fast nicht glauben, was er mir nun erzählte.

Während Pauline, Megara und ich in Frankreich weilten, hatten sich Johannes und Mandy in dem neuen Restaurant verabredet, dass im 50s-Style eingerichtet war und den passenden Namen "The golden 50s" trug.

 

Johannes gestand, dass er Mandy schon von Anfang an sehr sympathisch gefunden hatte.

Die beiden hatten also zuerst etwas gegessen und sich dabei sehr gut unterhalten.

Nach einer halben Ewigkeit, in denen sie sich ihr halbes Leben erzählt hatten und es keine einzige peinliche Sekunde gegeben hatte, waren sie sich ziemlich nahe gekommen.

 

Sehr nahe sogar.

Und deshalb sei es zu ihrem ersten Kuss gekommen. Johannes sagte mir, dass er sich in Mandy verliebt hatte und hoffte, dass ich kein Problem damit hätte, da sie ja meine älteste Freundin ist.

"Ich werde versuchen, tolerant zu sein", sagte ich grinsend und knuffte ihn in die Seite.

"Alles klar, Kumpel!", sagte Johannes und grinste zurück. Damit stand mein Schwager auf und entschuldigte sich mit den Worten, dass er sich bald mit Mandy träfe und sich noch frisch machen müsste.

Johannes machte dann auch schon bald Nägel mit Köpfen, da auch Pauline wie erwartet ihren Bruder finanziell unterstützen wollte. Er kündigte seinen Job im Institut und holte sein Abitur nach. In Vollzeit. In den Ferien würde er mit jobben etwas Geld verdienen, um uns, wie er sagte, nicht komplett auf der Tasche liegen zu müssen. Danach stand dann das schwierige Medizinstudium an. Doch Johannes lebte richtig auf, war mit feuereifer dabei und ich sah nun auch einmal von außen, wie ich wohl vor einigen Jahren hier bei meiner Ankunft in Sunset Valley ausgesehen haben musste: Voller Mut, Elan und den Kopf voll von einer Idee, die in die Tat umgesetzt werden musste. 

 

Einige Wochen später stand schon wieder unser nächstes großes Ereignis vor der Tür, nämlich der Geburtstag von Megara. Ich fragte sie, wie sie feiern wollte und wen sie einladen mochte. Natürlich kam als erstes Samuel als Antwort, dann auch Liane, Mandy für ihren Onkel Johannes, und nach einigem zögern eine neue Klassenkameradin.

 

Und sie wünschte sich ein Kostümfest.

 

Ich musste nochmal nachfragen, als sie das gesagt hatte.

"Du möchtest ein Kostümfest?"

"Oja, Papi, bitte!", bettelte sie und sah mich mit großen Augen an. Gut, es sprach ja eigentlich nichts dagegen.

"Naja...", versuchte ich Luft zu gewinnen, "hast du denn etwas zum Anziehen?"

"Ich finde schon was!", lachte sie. Ich seufzte.

"Muss ich mich da dann auch verkleiden?"

"Logisch!", sagte Megara.

"Aber ich habe doch nichts..." wandte ich ein.

"Bitte, Papa! Du findest schon etwas! Mama hat auch schon ja gesagt! Sie hat nur gemeint, dass ich es auch noch mit dir besprechen muss! Sag ja! Es ist doch mein Geburtstag!". Wieder ein Blick aus großen, runden Augen. Wer konnte da schon nein sagen? Ich auf jeden Fall nicht!

"Also gut! Du bekommst deine Kostümparty!"

"Jipieh!", schrie Megara und hüpfte in unserem Wohnzimmer herum. "Das muss ich sofort Samuel erzählen!", sagte sie und rannte aus dem Wohnzimmer.

Wir planten also das Kostümfest für Megara. Wir schrieben die Einladungen, besorgten Kostüme, kauften Essen und Getränke und schon bald war der große Tag da: Megaras Geburtstag.

 

Sie hatte sich als Elfe verkleidet, Pauline hatte ihr die rosa Strähnchen ins Haar gezaubert und ich hatte mich um die Gesichtsbemalung gekümmert. Ich fand sie absolut entzückend! 

Und ja, so sah ich aus!

 

Die Mütze hatte ich mir aus Frankreich mitgebracht, deshalb war ich auf die Idee gekommen, als Franzose zu gehen.

Meine Pauline als Cleopatra. Sie sah wieder mal so umwerfend aus!

Und aus Johannes war ein fescher Cowboy geworden.

Nach und nach trudelten auch die anderen Gäste ein. Mandy war kaum wiederzuerkennen, aber ihr Kostüm stand ihr ausgezeichnet!

Auf Samuels kommen hatte sich Megara am meisten gefreut. Als er in seiner mittelalterlichen Lederkluft kam, wurde er sofort von dem Geburtstagskind gedrückt.

Liane hatte sich die Kleidung von Pauline geliehen, da sie kein eigenes Kostüm besaß und sich auch keines kaufen konnte. Der Hut war mit Johannes`Dingen aus China mitgeschickt worden, und kam nun zu seinem ersten, richtigen Einsatz hier.

Während die meisten noch aßen, begannen Mandy, Liane und Megaras Klassenkameradin zu tanzen.

Wir anderen hielt schon bald ebenfalls nichts mehr auf den Stühlen, und so feierten wir eine ausgelassene Party.

Die Kinder spielten bis zum Einbruch der Dunkelheit draußen.

Natürlich konnte ich meine Finger nicht von Pauline lassen. Und so knutschten wir mitten im zur Tanzfläche umfunktionierten Esszimmer, was uns aber egal war.

 

Später flüsterte ich Johannes im Vorübergehen "alberner Teenager!" ins Ohr, woraufhin er mich in die Rippen knuffte. Was ich wiederrum mit einem Grinsen quittierte.

Es war schon spät, als wir Megara und Samuel ins Haus riefen, auch wenn die beiden gerade mit viel Spass herumblödelten.

Aber es war an der Zeit, dass Megara die Kerzen auf ihrem Geburtstagskuchen auspustete. So stand hier also unsere Kleine und wartete auf den bestimmten Moment.

Nämlich um eine Teenagerin zu werden!

Megaras Zimmer wurde mal wieder renoviert, was nötig gewesen war. In dem Zuge wollte sie auch gleich andere Möbel mit einer etwas natürlicheren Farbe, was wir ihr zubilligten. Die Farben für ihr neues altes Zimmer durfte sie selbst wählen, und so sah dann das Zimmer aus. Es sah komplett anders aus als vorher, es war nun eben ein richtiges Teenagerzimmer.

Sie hätte auch gerne einen eigenen PC in ihrem Zimmer gehabt, doch das war der einzige Wunsch, den Pauline und ich ihr nicht erfüllten. Wir hatten nämlich schlicht Angst, dass sie dann gar nicht mehr aus ihrem Zimmer kam. Sie war nämlich immer noch gerne allein, schrieb ihre Geschichten mit dem Computer, malte oder machte Spaziergänge durch die Natur. Ihr einziger wirklicher Freund war nach wie vor Samuel.

 

Natürlich hatte sie deshalb protestiert, doch irgendwann aufgegeben, als sie bemerkte, dass wir uns in dieser Sache nicht erweichen lassen würden. So schrieb sie nun also ihre Geschichten im Wintergarten.

Ich lud Pauline in das neue Restaurant in Sunset Valley, das "The golden 50`s", ein. Uns gefiel die Einrichtung, die ganz im Stil von damals gestaltet war. In dem Radio wurden die tollen Rock `n Roll und Rockabilly-Songs gespielt, die wir gerne mochten und das Essen war ebenfalls gut. Wir waren sicher, hier in Zukunft öfters herzukommen.

Die Musik ging uns dann so ins Blut, dass wir spontan ein kleines Tänzchen einlegten. Die anderen Gäste des Restaurants schien es nicht zu stören. Auch Paulines Frauenärztin, Frau Dr. Schmidt, nahm hier vermutlich gerade ihr Mittagessen ein.

 

Die Gitarre, die dort hinten an der Wand hing, gehörte einmal Buddy Holly, wie auf dem kleinen Schild zu lesen war.

Auch Johannes tat der Jobwechsel sehr gut. So glücklich sah er nun auf seinem Weg in seinen Ferienjob aus. Er hatte sich einen Platz im Krankenhaus ergattert, zwar nur als Bettpfannenleerer und für sonstige Aushilfstätigkeiten, doch er war schon glücklich, überhaupt dort arbeiten zu können. Er lernte fleissig für sein Abitur, dass mit großen Schritten auf ihn zukam.

Es war 6 Wochen nach Megaras Geburtstag, als ich meine Eltern in SimCity besuchte, um zu besprechen, wie wir in Sachen Grafschaft weitermachen mussten, um endlich voranzukommen.

 

Megara, die sich in letzter Zeit ebenfalls für unsere Familiengeschichte interessiert hatte, wollte zuerst mitkommen, hatte es sich dann aber doch anders überlegt, um an einem Roman zu arbeiten, mit dem sie vor kurzem begonnen hatte. Ich hatte das Gefühl, dass Elemente aus unserer Familiengeschichte dort mit einflossen, denn das Buch trug den klangvollen Namen "Die Suddendocks - Eine Familienchronik". Ich war gespannt, ob sie dieses Projekt tatsächlich vollendete und vor allem, ob sie einen Verlag finden würde, der es veröffentlichte. Übung hatte sie ja zur Genüge und ich musste sagen, meine Tochter konnte sehr gut schreiben. Ich fand, dass sie auf jeden Fall Chancen hatte. Ich hoffte, dass sie an einen Lektor kam, der dies ebenso sah.

 

Johannes lernte das ganze Wochenende für eine Klausur, die am Dienstag anstand und Pauline komponierte einen neuen Soundtrack für einen Film und sie wollte die Zeit der Ruhe nutzen, um ihre Melodien zu schreiben. So war ich also alleine hier.

"Hallo Gabriel!", begrüßten mich meine Eltern und führten mich in ihr Esszimmer. Ich konnte mich daran erinnern, wie ich bei meinem ersten Besuch nach meiner Flucht nach Sunset Valley hier begrüßt worden war und freute mich innerlich, dass sich seither vieles geändert hatte. Meine Eltern und ich konnten nun, nach so vielen Jahren, zumindest endlich normal miteinander reden.

 

Das war mehr, als ich je erhofft hatte.

"Und?", fragte ich, "Haben wir Einblick in das Grundbuch bekommen, nachdem wir dem Notariat nun eindeutig bewiesen haben, dass wir die Nachkommen von den Grafen von Hohenstein sind?". Die letzten Monate hatten wir alle Hebel in Bewegung gesetzt, Geburtsurkunden zu beschaffen, Familienstammbäume einzusehen und beglaubigte Abschriften davon anfertigen zu lassen, um Abschriften des Grundbuches von Simgard zu erhalten, damit wir endlich wussten, wem das Grundstück nun gehörte.

"Natürlich nicht!", sagte mein Vater verbittert.

"Wie bitte?", fragte ich perplex.

"Unsere Abschriften werden genau geprüft, was uns schon wieder eine Menge Geld kosten wird. Danach wird also entschieden, ob wir es nun würdig sind, in dieses Grundbuch einen Blick werfen zu dürfen oder nicht", sagte mein Vater verbittert. Ich spürte, dass er an seine Grenzen kam, was diese Sache anbelangte. Sicher hatte er es sich viel leichter vorgestellt, diese Eigentümer zu erfahren, denen einen stattlichen Betrag anzubieten und endlich wieder in den Besitz unseres Familienanwesens zu kommen. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm soviele Steine in den Weg legte.

"Tja, wieder heißt es warten", sagte auch meine Mutter ziemlich niedergeschlagen.

"Toll!", sagte ich sarkastisch. "Es kann also sein, dass es nun doch nicht klappt, so kurz vor dem Ziel! Wenn dort irgendein schlecht gelaunter Sachbearbeiter über unseren Papieren sitzt, sagt der doch, das es unmöglich ist, eine Abschrift des Grundbuches zu bekommen". Herrje, hörte das denn nie auf?

"Wir wollen doch hoffen, dass dies nicht so ist!", sagte meine Mutter und ich wunderte mich, woher sie diese Hoffnung nahm.

"Deinen Optimismus möchte ich haben", grummelte ich.

"Gabriel", sagte meine Mutter, "glaubst du, wir stünden heute da, wo wir sind, wenn deine Vorfahren die Hoffnung verloren hätten? Die mussten ganz anderes leisten, glaube mir!"

"Entschuldige, Mutter", sagte ich zerknirscht. "Du hast natürlich recht". Ich dachte an meine Urgroßmutter, die von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts gestanden war, dann an meinen Großvater, der bereits mit 14 Jahren erwachsen werden musste und sein Leben lang hart dafür gearbeitet hatte, seine Familie zu versorgen. "Ich habe nur das Gefühl, völlig auf der Stelle zu treten und nicht voranzukommen"

"Das haben wir auch, glaube mir", sagte sie. "Aber wir werden jetzt nicht aufgeben. Das kommt überhaupt nicht in Frage". 

"Ihr sagt mir gleich, wenn es etwas Neues gibt!", sagte ich, "Megara interessiert sich ebenfalls immer mehr dafür. Ich glaube, sie findet es sehr spannend, das ihre Vorfahren echte Grafen waren".

"Wie geht es denn unserer Enkelin?", fragte mein Vater und ich erzählte von ihren kreativen Hobbys, mit denen meine Eltern wie erwartet nicht sehr viel anfangen konnten, ihre recht guten Noten in der Schule und ihrem neuen Zimmer. Dass wir uns Sorgen wegen ihres Einzelgängerdaseins machten verschwieg ich jedoch erstmal. Meine Eltern sollten sich nicht auch noch Gedanken wegen ihrer Enkelin machen müssen, wenn sich vielleicht schon bald sowieso herausstellte, dass wir uns umsonst gesorgt hatten.

 

Als es Zeit war, wieder zu gehen, umarmte mich meine Mutter, wünschte mir eine gute Heimfahrt und ließ Grüße an alle ausrichten.

 

Wir alle hatten keine Ahnung, was Megara wirklich durchlitt, sie sagte kein Wort zu uns.

 

Und deshalb wird ab jetzt Megara unsere Geschichte weitererzählen.

 

 

Wieder so ein blöder Tag in der Schule. Wie sie mich wieder anstarrte, diese Barbie. Wirklich, wer rannte denn so herum? Mir wäre das ja sowas von peinlich, aber Samira Kienzle dachte echt, dass das das Non-plus-ultra war.

 

Gut, ich legte nicht sehr viel Wert auf Äußerlichkeiten und fühlte mich am Wohlsten in bequemer Kleidung, doch das nahmen mir die anderen leider ziemlich übel.

Samuel war leider nicht in meiner Klasse, sondern in der Parallelklasse. Die anderen interessierten mich nicht. Die meisten kannte ich schon von der Grundschule, doch befreundet hatten wir uns nie. Im Gegenteil: Für die war ich immer gut, wenn sie jemanden brauchten, den sie fertig machen konnten.

Ich hatte mich in die letzte Reihe verdrückt, so dass ich meine Ruhe hatte. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich dort an meinem Tisch alleine saß.

Es tat weh, wenn sie über mich lästerten. Und das nur, weil ich nicht nur Partys, Klamotten, Schminke und Jungs im Kopf hatte. Das war so ungerecht!

 

Ich war schon immer sehr schüchtern gewesen und hatte mich kaum getraut, irgendetwas zu sagen. Meine Mitschüler verloren deshalb schnell ihr Interesse an mir, also interessierten sie mich irgendwann auch nicht mehr. Das ich mich damit in eine unangenehme Außenseiterposition gedrängt hatte, hatte ich zu spät gemerkt. Jetzt war es nicht mehr zu ändern. Die Rollen waren verteilt.

 

Aber richtig schlimm wurde es erst, als Samira, die Barbiekönigin, in meine Klasse gekommen war. Denn die hatte es schon bald richtig auf mich abgesehen.

Es verging kein Tag, an dem sie mich nicht triezte. So natürlich auch heute, in der letzten kleinen Pause vor Schulschluss. 

"Bäh, Meggilein, du stinkst wie ein Schwein!", sagte sie da einfach so zu mir, aus heiterem Himmel. Was natürlich noch gelogen war, denn ich duschte mich jeden Morgen, bevor ich in die Schule ging. Die anderen Mitschüler kicherten und tuschelten. Ich wusste, dass ich irgendetwas hätte sagen müssen, aber ich konnte nicht. Mir verschlug es leider jedesmal die Sprache, wenn sie sowas zu mir sagte. Erst später, wenn ich dann auf dem Heimweg war oder schon im Bett lag, fiel mir immer ein, was ich hätte sagen können, hätte sagen müssen! Dann zeigte ich es ihr richtig, war schlagfertig und cool.

 

Aber leider niemals dann, wenn es darauf ankam.

Zuhause setzte ich mich zuerst an den PC und schrieb an meinem Roman weiter. Es tat mir gut, in eine völlig andere Welt zu flüchten und meine Phantasie war fast grenzenlos, ich hatte noch zig Ideen, die ich umsetzen wollte. Meine Hausaufgaben mussten eben noch warten. Ich war zwar nicht die allerbeste Schülerin der Schule, doch meine Zensuren waren in Ordnung und ich war recht zufrieden. Deutsch war mein absolutes Lieblingsfach, denn ich wusste schon jetzt, was ich später einmal werden wollte: Eine Schriftstellerin nämlich. Am liebsten für Kinderbücher, denn da ich auch gerne malte, würde ich so die Zeichnungen für die Bücher selbst anfertigen können.

 

Gleich nach dem Schreiben rief ich meinen besten Freund Samuel Potter an. Ihn kannte ich schon so lange ich denken konnte, er war immer für mich da.

"Sam, kannst du kommen?", fragte ich ihn.

"Ist etwas passiert, Meg?", fragte er sofort. Ich schluckte an einem dicken Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte.

"Sie hat mich mal wieder fertig gemacht", sagte ich dann. Natürlich wusste Samuel sofort, wen ich meinte.

"Ich komme", sagte er dann nur und legte auf.

Er war sehr schnell da und umarmte mich sofort.

"Lass dich doch von der nicht immer so fertig machen!", sagte er statt einer Begrüßung zu mir.

"Ich weiß nie, was ich sagen soll!", verteidigte ich mich. "Sie ist so cool!"

"Du bist auch cool!", widersprach Samuel.

"Quatsch!", widersprach ich. Ich und cool! Sah so jemand aus, der cool war? Mit Sicherheit nicht! Sam war cool. Er kam bei vielen Leuten super an, hatte tolle, lockere Sprüche auf Lager, sah gut aus, war sportlich. 

"Hey!", sagte er, "Und ob du das bist! Du hast total was in der Birne, schreibst tolle Geschichten und kannst superschön malen! Das soll dir eine Samira erstmal nachmachen!"

"Das ist doch nicht cool", meinte ich.

"Oh doch, das ist es! Du bist einfach zu bescheiden und stellst dein Können immer unter den Scheffel, das solltest du nicht tun. Denn was kann schon Samira? Außer sich wie ein Püppchen anzuziehen, meine ich". Ich grinste schief.

"Ich glaube, nichts", sagte ich dann. Samuel grinste zurück.

"Siehst du, das meine ich"

"Und doch wird sie von allen bewundert", warf ich ein.

"Oh Meg! Sie verkauft sich nur gut, das ist alles! Wenn du das so machen würdest, hättest du deine komplette Klasse auf deiner Seite, glaube mir. Trau dich, den anderen zu zeigen, was du drauf hast!"

"Das kann ich nicht!", sagte ich erschrocken. Ich sollte mich genauso anbiedern wie diese Tussi? Niemals!

Im nächsten Moment kam meine Mutter von ihrem Job als Komponistin nach Hause. Mein Vater kam aus dem Haus und begrüßte sie SO! Vor unseren Augen! Samuel und ich flüchteten ins Haus. Nicht, das ich was dagegen hätte, dass sich meine Eltern so gut verstanden, aber es musste doch auch wirklich nicht sein, dass sie vor meinen Augen knutschten wie Teens. Aber dann auch noch vor den Augen von Samuel, das war einfach nur peinlich!

Im Haus zeigte ich Sam einen neuen Dialog, den ich für mein Buch "Die Suddendocks - Eine Familienchronik" geschrieben hatte.

"Das ist super, Meg!", lobte er mich, "Also, wenn das kein Bestseller wird, dann weiß ich auch nicht". Ich lachte.

"Zuerst muss ich einen Verlag finden, der das hier drucken möchte", gab ich zu bedenken.

"Das wird schon, keine Sorge. Du schreibst richtig super!"

Am nächsten Morgen fragte mich mein Vater noch vor der Schule, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei. Vielleicht war ich etwas blasser als sonst, denn mir war übel, wenn ich daran dachte, dass ich die doofe Ziege bald wieder sehen musste.

"Nein, alles in Ordnung", log ich ihn an. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich wollte meine Eltern nicht beunruhigen. Mein Vater sah mich kurz schweigend an, bevor er sagte:

"Du weißt, dass du immer zu uns kommen kannst, wenn du Probleme hast, oder?"

"Ja, das weiß ich", sagte ich, und fügte noch hinzu: "Es ist nur gerade etwas stressig in der Schule, wir schreiben viele Klausuren".

"Okay", sagte er. "Kann ich dir da ein wenig helfen?"

"Ich glaube, dass ich es hinbekomme", wich ich aus. Mein Onkel ließ sich von unserem Gespräch nicht beim Essen stören. Er studierte inzwischen Medizin und arbeitete in den Semesterferien in dem Krankenhaus, in dem er schon während seiner Schulzeit gearbeitet hatte.

Am nächsten Morgen stand ich nach dem Duschen lange vor dem Spiegel. Was würde mich heute erwarten? Warum ließen sie mich nicht einfach in Ruhe? Samira griff mich immer wieder direkt an, entweder verbal oder manchmal sogar körperlich. Dann schubste sie mich zur Seite, nur um zu sagen, dass sie mich ja leiiider nicht gesehen hatte. Logisch. Die anderen tuschelten gerne hinter meinem Rücken, aber oft eben so, dass ich es doch mitbekam.

 

Sie hielten mich für langweilig, völlig unmöglich gekleidet und eine Frisur besaß ich ja auch nicht.

War es echt so schlimm? Ich fand eigentlich nicht. Ich machte mir nur nichts aus diesen Sachen. Oder sah ich wirklich so unmöglich aus? Wenn ich ein Junge wäre, würde ich mir dann auffallen? Ich hatte keine Ahnung, was auf Jungs attraktiv wirkte, aber ich sicher nicht.

 

Ach verdammt, die anderen sollten sich einfach um ihren Kram kümmern!

Zu allem Übel hielt mein Vater an seiner selbst aufgestellten Tradition fest und malte ein Bild von mir. Das hätte ja nicht mehr sein müssen. Es war okay, als ich kleiner war, aber jetzt...

 

Ich war ihm dankbar, keine Frage, denn durch ihn war ich ja an die geliebte Malerei gekommen, aber ich war ja nun nicht mehr malenswert. Da gab es weitaus schönere Motive.

Nach der Schule aß ich mit meiner Mutter zu Mittag. Lange aßen wir schweigend, bis sie die Stille unterbrach:

"Alles klar, Maus?".

"Bitte nenne mich nicht Maus!", warf ich ein. Ich war doch kein Baby mehr!

"Das hat dir doch früher auch nichts ausgemacht...", sagte sie.

"Früher war ich ja auch noch ein Baby!"

"Und jetzt bist du schon eine Greisin, alles klar", sagte meine Mutter lachend.

"Oh Mum, ich möchte das einfach nicht mehr!", sagte ich leicht genervt.

"Schon gut!", sagte meine Mutter immer noch grinsend.

"Triffst du dich heute noch mit jemandem?", wollte sie plötzlich wissen.

"Hm", machte ich und überlegte, ob diese Fragerei auf etwas hinauslaufen würde. "Heute nicht mehr. Morgen mittag kommt Samuel", ergänzte ich dann.

"Megara", sagte meine Mutter dann, "du weißt, wie sehr wir Samuel mögen, er gehört ja praktisch schon zu unserer Familie dazu, aber möchtest du nicht auch einmal etwas mit einem Mädchen unternehmen? In deinem Alter hat man doch sicher Themen, die man als Mädchen nicht so gut mit einem Jungen besprechen kann, oder?". Ich ließ den Löffel sinken, mein Appetit schwand spürbar. Sie meinten es gut, das wusste ich. Sie wollten für mich schon immer nur das Beste. Und doch war gerade dieses Thema mein wunder Punkt, denn ich würde mich ja auch mit einem Mädchen treffen, wenn es denn eines gäbe, dass sich auch mit mir treffen wollte... Das alles wussten sie aber nicht, ich hatte ihnen ja noch nie etwas darüber gesagt. Deshalb versuchte ich auch ruhig zu bleiben und in einem normalen Tonfall zu sagen:

"Weißt du, Sam ist mein bester Freund. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mit einem Mädchen besser als mit ihm wäre". Nun lächelte meine Mutter.

"Er ist ein wunderbarer Freund, das stimmt. Ich freue mich für dich, dass du dieses Glück hast, ihn gefunden zu haben"

"Naja, wenn man es genau nimmt, habt ihr ihn ja für mich gefunden!", sagte ich grinsend.

"Das stimmt!", lachte meine Mutter.

Am nächsten Tag kam Sam zu mir. Und diesmal wollte ich nicht jammern wegen meiner Klassenkameraden. Diesmal nicht. Sonst würde ich meinen einzigen Freund auch noch vergraulen.

Also quatschten wir zuerst über einen neuen Film, der neu im Kino angelaufen war, dann erzählte er von seinem Basketballverein, in dem er schon einige Zeit war und der am Wochenende ein wichtiges Spiel hatte.

"Du kommst doch zum Anfeuern, oder?", fragte Sam.

"Logisch!", sagte ich. Natürlich würde ich ihn anfeuern! Sie waren kurz davor, in der Klasse Junioren in die Landesliga aufzusteigen, das musste schließlich angefeuert werden! Er freute sich sichtlich. Und dann fiel mir etwas ein.

"Hey, ich habe ein neues Plätzchen entdeckt, wo ich malen kann!", erzählte ich freudestrahlend.

"Echt?", fragte Samuel. "Wo denn?"

"In den Hügeln, an einem kleinen See. Es ist superschön da!"

"Zeigst du es mir?", fragte er. Was für eine Frage!

 

Wir zogen los, jedoch nicht bevor ich mir meine Staffelei auf den Rücken geschnallt hatte.

Als wir da waren, schloss ich für einen Moment die Augen. Es war hier so ruhig, so friedlich! Nur ab und zu hörte man einen Wasserplatscher, wenn wieder ein Fisch einen kurzen Luftsprung gewagt hatte.

"Und, was sagst du?", wollte ich wissen.

"Idyllisch", sagte Sam. "Du kannst hier bestimmt gut malen".

"Genau. Du bist der einzige, dem ich das hier gezeigt habe! Aber jetzt lass dich malen!"

"Was? Mich???", fragte er entgeistert.

"Aber klar! Na los, zier dich nicht so!"

Also stellte er sich brav hin und ließ sich von mir skizzieren. Wir brachen erst wieder nach Sunset Valley auf, als es bereits dämmerte.

Als ich nach Hause kam, sah ich, dass mein Vater ratlos vor unserm Aquarium stand.

"Ist etwas?", wollte ich wissen.

"Ich verstehe das nicht!", sagte Daddy mehr zu sich selbst als zu mir.

"Was denn?", hakte ich nach.

"Es fehlt ein Frosch". Ich starrte in das Wasser. Und tatsächlich: Von unseren drei Fröschen waren nur noch zwei übrig.

"Fische essen doch keine Frösche, oder?", fragte ich und blickte argwöhnisch auf unsere zwei Fische, die ruhig ihre Bahnen schwammen. "Oder gar Schnecken?". Von denen hatten wir nämlich auch eine.

"Nein, das ist es ja!", gab mein Vater zur Antwort.

Erst beim Abendessen klärte sich das Ganze auf: Johannes hatte sich einen Scherz mit Mandy erlaubt und ihr den Frosch unter die Nase gehalten. Die war leider so erschrocken, dass sie einen spitzen Schrei losgelassen hatte, der wiederrum Johannes erschreckt hatte. Dabei war ihm der Frosch aus der Hand gefallen und davongehüpft, durch die offene Terrassentür hinaus in den Garten. Die beiden hatten zwar nach ihm gesucht, ihn jedoch nicht mehr gefunden.

Ein paar Tage später war der verschollene Frosch fast wieder in Vergessenheit geraten, als meine Mutter mittags im Garten einen spitzen Schrei losließ. Alarmiert eilten wir zu ihr.

Kreidebleich stand sie vor einer der Multikultipflanzen, die mein Vater von seinem verstorbenen Freund geschenkt bekommen hatte und von denen wir nicht wussten, was es für Gewächse waren.

"Was ist das... was ist das...?", stammelte sie immer wieder. Als wir die Pflanze ansahen, verstand ich ihre Verwirrung. Ich traute meinen eigenen Augen nicht.

"Gabe, was ist das? Wie ist soetwas möglich? Siehst du das gleiche wie ich???", fragte meine Mutter total verstört.

Frösche. An dieser Pflanze. Mehrere Frösche hingen an den Zweigen der Multikulti. Lebendig.

 

Wir alle standen zuerst noch sekundenlang davor, bevor sich mein Vater zu dem Gewächs hinabbeugte und flüsterte:

"Das ist das Geheimnis!". Schön, dass er das ´Geheimnis` nun kannte, ich wusste immer noch nicht, was hier vor sich ging.

"Was bedeutet das, Dad?", fragte ich deshalb.

"Wenn es das ist, was ich glaube, ist das hier eine Sensation! Gobias hat mir gesagt, dass er 10 Jahre daran geforscht hatte. Es muss für ihn wie die Entdeckung eines besiedelten Planeten gewesen sein, als er das hier entwickelt hatte!"

"Was ist das denn nun?", wollte meine Mutter wissen. "Ich meine, an dieser Pflanze hängen Frösche!"

"Ja, Frösche. Weil die Pflanze auch einen Frosch gefangen hatte, nämlich unseren verschollenen, den Johannes ja vor ein paar Tagen verlor. Diese Pflanze reproduziert oder kopiert Dinge, die ihr in die Fänge kommen. Wie sie das macht, weiß ich natürlich noch nicht. Aber vielleicht finde ich das noch heraus".

"Das kann doch nicht sein!", warf ich ein. "Soetwas gibt es doch gar nicht!"

"Tja, bisher gab es das nicht, da stimme ich dir zu. Aber jetzt eben schon. Den Beweis haben wir ja schließlich hier vor Augen, oder?". Dazu konnte ich nichts mehr sagen. Ich sah es ja mit meinen eigenen Augen und konnte es doch nicht glauben!

 

Mein Vater entfernte dann vorsichtig die Tiere von den Zweigen. Ihnen schien es gut zu gehen! Er setzte sie in einen Karton, damit er sie zu einem Teich transportieren konnte, wo er sie der Freiheit entlassen wollte. Ich bot mich dann an, das zu tun, denn ich kannte ja einen sehr schönen See, wo sie in Frieden leben konnten.

Am nächsten Tag erzählte ich Sam in der großen Pause davon. Er lachte zuerst und hielt das alles für eine neue Idee für einen Roman von mir, doch ich sagte, dass es sich genauso in unserem Garten am Tag davor abgespielt hatte. Leider hörte das auch Samira.

"Mann, was erzählst du nur wieder für eine Scheiße, Bohnenstange!", sagte Samira gehässig. "Du hast doch echt nichts im Kopf!". Ich schluckte. Was sollte ich jetzt sagen?

"Ach, halte doch die Klappe!", sagte ich dann und drehte mich um, um von der wegzukommen.

"Auch noch frech werden, oder was?", sagte Samira und schubste mich. "Und wie du wieder aussiehst! Solche Zöpfe hatte ich zuletzt als Dreijährige! Du kannst echt froh sein, dass sich Samuel noch mit dir abgibt, echt! Aber das wird wohl nicht mehr lange dauern, bis du auch ihm zuwider bist. Mit dir muss man sich ja schämen!". Wieder brachte ich keinen Ton heraus, obwohl sie mich mit ihren Worten gereizt hatte bis aufs Blut. Sie zog Samuel mit hinein, und das war echt zuviel für mich. Also flüchtete ich unter ihrem Gelächter in unser Klassenzimmer.

Dort ließ ich mir kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen, damit sich mein Blutdruck wieder normalisierte. Plötzlich stand Sam hinter mir. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er mir gefolgt war.

"Meg, wie geht es dir?". Ich drehte den Wasserhahn zu und trocknete meine Hände ab.

"Es geht wieder, danke", sagte ich dann. Was so nicht stimmte. Der Gedanke, dass ich eines Tages auch Samuel verlieren könnte, hatte mich einer Ohnmacht nahe gebracht.

"Ich habe gehört, was diese... gesagt hat", sagte er dann.

"Ja...", sagte ich knapp. Es war mir irgendwie peinlich, dass er das gehört hatte. Er war mein Freund und ich wollte ihn nicht blamieren. Sonst... würde ich ihn doch noch verlieren, eines Tages.

"Sweety", sagte er dann und nahm mich in den Arm "Lass die doofe Kuh doch reden, was sie will! Sie hat absolut unrecht, das kann ich dir sagen! Ich werde sicher nicht meiner engsten Vertrauten den Rücken kehren!". Es tat so gut, dass er das zu mir sagte. "Du brauchst dringend mehr Selbstbewusstsein! Es kann nicht sein, dass du an unserer Freundschaft zweifelst, nur weil eine Samira einen blöden Spruch losgelassen hat!"

"Ich weiß", flüsterte ich und Sam ließ mich wieder los.

"Ich glaube, ich habe eine Idee. Ich rufe dich heute mittag nach der Schule an, okay?". Ich war verwirrt. Was hatte er vor? Genauso musste ich auch ausgesehen haben, denn Sam sagte:

"Vertrau` mir einfach, ja?". Ich nickte.

"Braves Mädchen!", knuffte er mich in die Seite. Dann hörten wir schon die Stimmen meiner Klassenkameraden, die sich dem Zimmer näherten. Die Pause war vorbei.

Doch bevor Sam in seine eigene Klasse ging, ging er noch zu Samira und sagte zu ihr:

"Höre mir mal gut zu, du Intrigantin! Und ich hoffe, dass du mir einigermassen folgen kannst, da deine grauen Zellen durch die vielen Blondierungen wohl mehr gelitten haben als man ahnen konnte. Du lässt ab sofort Megara in Ruhe, verstanden? Erzählst ihr nicht solche haarsträubenden Geschichten, die nicht stimmen. Glaubst du etwa, ich wäre mit ihr befreundet, wenn sie nicht so ein tolles Mädchen wäre? Traust du mir etwa zu, dass ich das nicht richtig einschätzen kann, oder was?". Samira war immer stiller geworden und sah unruhig von Sam zu mir und den anderen Mitschülern, die sich hinter Samira aufgebaut hatten.

"Äh...", brachte sie nur heraus, dann verstummte sie wieder.

"Ich meine es ernst, Samira! Wenn mir auch nur noch ein einziges mal etwas zu Ohren kommt, melde ich dich der Schulleitung! Dann fliegst du hier von der Schule!". Ich stand völlig sprachlos neben Samuel und sah Samira ins Gesicht. Sie sah sehr verunsichert aus. Dann wandte sich Sam wieder an mich.

"Nimm dir für heute mittag nichts vor, ja? Wir sehen uns!". Damit verließ er unser Klassenzimmer. Was kam jetzt wohl? Machte mich Samira fertig? Die ganze Klasse würde zu ihr halten, wenn es darauf ankam. Sie war der Klassenliebling. Doch sie sah mich nur hasserfüllt an, dann rauschte sie zu ihrem Platz.

Den ganzen restlichen Morgen grübelte ich, was Samuel vorhatte, kam aber natürlich nicht drauf. Aber was das Schönste war: Keiner ärgerte mich mehr! Ich hatte einen total friedlichen restlichen Schultag.

 

Nach der Schule telefonierte ich mit Sam. Er sagte mir, dass er mich in das 50`s einladen wollte, was unsere Abkürzung für "The golden 50`s" war, dem tollen Restaurant.

 

Ich machte mich also auf den Weg.

Dort erwartete mich dann auch schon gleich zu Beginn die Überraschung. Doch ob die so gut war, bezweifelte ich. Denn Susanne, Dimitri und Heiko aus meiner Klasse kamen ebenfalls zur Tür herein.

"Sam, was soll das?", fragte ich meinen besten Freund. "Warum hast du die auch hierhergeholt? Die können mich doch nicht leiden!"

"Meg, ich sagte doch, dass du mir vertrauen kannst! Es ist so, wie ich es mir gedacht hatte: Samira hat sie gegen dich aufgehetzt. Aber Susi, Dimitri und Heiko haben eigentlich nicht das Geringste gegen dich. Ich habe mit ihnen ebenfalls nach der Schule telefoniert und habe gefragt, ob sie nicht Lust hätten, hierher zu kommen und dich richtig kennenzulernen. Sie waren gleich einverstanden. Und jetzt sei einfach du selbst, ja? Dann sehen sie, wie toll du bist!"

Nachdem wir eine Kleinigkeit gegessen und uns schon dort gut unterhalten hatten, spielten wir bis zum Abend Tischfussball. Meistens Mädchen gegen Jungs.

 

Wir hatten einen Heidenspass!

Samuel ließ immer wieder geschickt etwas von meinen Hobbys so in das Gespräch einfließen, dass man mich dann genauer darüber befragte. Und so wussten Susi, Heiko und Dimitri schon bald, dass ich gerne malte wie mein Vater, gerade an einem Roman schrieb und auch schon geangelt hatte. Und niemand lachte mich aus! Das war eine ganz neue Erfahrung für mich. Sie interessierten sich tatsächlich für mich und das, was ich tat!

Als es Zeit war, nach Hause zu gehen, verabschiedete ich mich von allen und war völlig baff, als mich Susi in den Arm nahm.

"Du bist echt total okay!", sagte sie. "Sorry, dass wir solange auf Samira gehört haben! Soll nicht wieder vorkommen!". Samuel stand grinsend daneben. Er freute sich wohl, dass sein Plan aufgegangen war.

Zuhause zeigte mir mein Vater stolz das fertige Portrait, das er von mir angefertigt hatte. Es hing gerahmt im oberen Stockwerk im Flur. Er hatte toll gemalt wie immer. Ob das Motiv auch so toll war, bezweifelte ich zwar, aber da ich ihn nicht enttäuschen wollte, sagte ich zu ihm, wie klasse es geworden war. 

 

Ich war auch viel zu gut gelaunt, um über dieses Bild lange nachzudenken, denn ich hatte einen denkwürdigen Abend hinter mir. Hatte mich Susi tatsächlich umarmt und gesagt, dass ich total okay bin? Hatte mir Dimitri wirklich die Hand abgeklatscht, nachdem ich für uns ein tolles Tor geschossen hatte? Ich fühlte mich einfach großartig!

Am nächsten Morgen war ich die Erste, die auf war. Es war Samstag und somit schulfrei. Ich fütterte die Fische und genoss die Stille, die noch herrschte.

 

Dann klingelte das Telefon.

Ich nahm ab.

"Megara? Guten morgen, hier ist dein Opa", begrüßte mich Opa Uwe.

"Morgen, Opa! Na, du bist aber schon früh wach!". Er lachte.

"Ja, es gibt Dringendes zu besprechen. Ist dein Vater schon auf?"

"Nein, tut mir leid. Kann ich ihm etwas ausrichten?", fragte ich. Es entstand eine kurze Pause.

"Ja, das kannst du. Pass` auf, Megara, sage deinem Vater bitte, dass er mich gleich nach dem Aufstehen anrufen soll. Es ist wichtig"

"Ist etwas passiert?", fragte ich erschrocken.

"Nichts Schlimmes, keine Sorge!", sagte mein Opa schnell. Ich atmete erleichtert auf.

"Aber um was geht es dann?", konnte ich meine Neugier nicht mehr zurückhalten.

"Es geht weiter! Wir haben den Eigentümer des Grundstückes!". Ich war für einen Moment sprachlos. Ich war inzwischen komplett im Bilde, was diese Sache anbelangte. Ich war sogar einmal mit meinem Vater bei dem Anwesen gewesen. Mein Opa und mein Vater hatten inzwischen auch mich richtiggehend angesteckt, was das betraf. Und so war ich jetzt mindestens genauso erstaunt, wie das nachher vermutlich auch Vater sein würde.

"Wir haben - den Eigentümer?". Mein Opa lachte. Die Erleichterung war ihm deutlich anzuhören.

"Ja, stelle dir vor! Nach den ganzen Jahren! Ein Erich Bahlsen ist das, wohnt in Tamberg, das ist gar nicht so weit von SimCity weg. Nun können wir dem Herrn ein gutes Angebot für das Grundstück geben, um das er sich ja sowieso nicht gekümmert hat!"

"Genau!", sagte ich grinsend. "Du, Opa, ich würde da gerne mitgehen! Ich finde das alles nämlich sehr spannend. Geht das?". Ich wartete gespannt auf seine Antwort.

"Ja, das geht. Ich bespreche alles mit deinem Vater, wenn er denn endlich mal aus dem Bett gekrochen ist. Wir müssen Herrn Bahlsen ja anrufen, um einen Termin zu machen, vielleicht schon einen Vorvertrag anfertigen lassen, weswegen ich noch heute mit meinem Anwalt telefonieren werde. Jetzt haben wir es bald geschafft!". Die Stimme meines Opas war voller Elan.

"Gut, so machen wir es. Ich gebe Daddy bescheid. Tschüß Opa!"

"Mache es gut, Megara!". Dann legten wir auf.

Das war einfach großartig! Dieser Erich Bahlsen hatte ja offensichtlich kein Interesse an dem Grundstück, sonst hätte er es nicht so vernachlässigt. Es war ein Jammer, was aus dem Grafenanwesen wurde. Also dürfte es nicht allzu schwierig werden, ihm alles abzukaufen. Wahrscheinlich war er sogar froh, wenn er es nicht mehr hatte, denn ein Grundstück kostete Geld. Ich war gespannt, was mein Vater sagte, wenn er davon erfuhr. Sicher würde auch er ganz aus dem Häuschen sein.

 

Hier geht es zu den Screenshots der 6. Aufgabe >>