Das doppelte Simchen

Teil 2

Zur Einstimmung in diese Aufgabe habe ich ein kleines Filmchen gebastelt. Als Bonus sind hier auch teilweise Bilder enthalten, die ihr davor noch nicht gesehen habt. Entweder ganz neue, oder auch aus einer bekannten Szene aus einer ganz anderen Blickrichtung/Perspektive. Kleine Anmerkung: Bei diesem Video ging es mir hauptsächlich um das Lied und seinen Text.

 

Wir erinnern uns: Emmanuels Versuche, mit Megara auszugehen, wurden von ihr in den letzten Wochen immer abgeblockt. Der Grund: Sie möchte sich selbst vor neuen Enttäuschungen schützen und lässt so eine nähere Bekanntschaft mit einem Mann nicht mehr zu.

 

Emmanuel hat Urlaub, an den sich Megara nicht mehr erinnern konnte. In ihrer Mappe findet sie einen Brief von ihm an sie vor. Darin spricht er seine Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus. Megara ist über diese Neuigkeit schockiert...  

Bild ist verlinkt und führt zum Video.

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Wie erstarrt saß ich auf dem Stuhl während meine Gedanken quer durch meinen Kopf rasten. Emmanuel würde gehen - für immer. 

 

Zu oft hatte ich ihm in den letzten Wochen einen Korb gegeben und ich war mir sicher, dass er den Kontakt zu mir abbrechen würde. Meine Eingeweide zogen sich bei diesem Gedanken schmerzhaft zusammen. Und mir dämmerte so langsam, warum das so war.

 

Ich würde nicht nur den Geschäftsführer Emmanuel vermissen, der mich hier so ausgezeichnet unterstützte. Nein, ich würde auch den Mann Emmanuel vermissen. Nun begann ich zu zittern, meine Gedanken schoben sich in Regionen vor, in denen jahrelang keiner meiner Gedanken war. Es hatte etwas Erlösendes für mich, und ich wusste plötzlich, dass ich ihn nicht so einfach gehen lassen konnte. Nicht ohne um ihn gekämpft zu haben. Also rief ich ihn zuerst zu Hause an, doch er nahm nicht ab. Ich wusste natürlich nicht, ob er trotzdem zu Hause war und nur nicht ans Telefon ging, doch das sah ihm eigentlich nicht ähnlich und so vermutete ich ihn schon im Urlaub. Vielleicht war er auf dem Weg zum Flughafen? Ich wusste leider nicht, wann sein Flug ging, also lief ich hinaus zu unserer Perle von Sekretärin, die mir sicher weiterhelfen konnte.

"Frau Behringer", sagte ich ein wenig atemlos zu meiner Sekretärin, als ich vor ihrem Schreibtisch stand, so als wäre ich gerade eine weite Strecke gerannt. Nach meinem Herzschlag zu urteilen hatte ich wohl einen Marathon hinter mir. "Können sie mir sagen, ob das Flugzeug von Herrn Lindthof bereits gestartet ist? Ich müsste ihn noch etwas fragen und erreiche ihn leider nicht mehr zu Hause"

"Moment, ich schaue mal kurz nach", sagte sie und blätterte in ihren Unterlagen. "Ah hier haben wir es ja: Das Flugzeug startet um 10.15 Uhr, Herr Lindthof dürfte also schon auf dem Weg zum Flughafen sein oder sich bereits dort befinden". Er war noch nicht weg! jubelte es in mir.

"Okay, vielen Dank. Streichen sie bitte die Telefonkonferenz um halb 11 mit der Entwicklungsabteilung, denn ich muss versuchen, Herrn Lindthof noch zu erreichen. Ich schätze, dass ich um die Mittagszeit wieder hier sein werde". Ich brauchte von hier etwa eine halbe Stunde zum Flughafen von Sim City, jetzt war es kurz nach 9. Es würde verdammt knapp werden!

Ich schnappte mir also meine Handtasche, raste zu meinem Auto und versuchte dann, so schnell es ging zum Flughafen zu kommen. Doch es war Montag morgen und die Straßen waren voll, ich kam leider nicht schnell voran.

 

Endlich, nach fast 40 min., konnte ich den Wagen im Parkhaus abstellen und in das Flughafengebäude rennen, während über mir ein Flugzeug in den Himmel stieg.

Zuerst ging ich zu der Infotafel um zu sehen, ob Emmanuels Flug schon aufgerufen war. Ja, die Passagiere waren schon am Ausgang, Ausgang D. Also sprintete ich in Richtung der Abflüge, als es mir siedendheiß einfiel: Wie bitte sollte ich denn zu ihm hinkommen, ohne Ticket?

 

Verflixt nochmal, daran hatte ich nicht mehr gedacht!

 

Also musste ich jetzt auch noch den Ticketschalter suchen und beten, dass es noch einen freien Platz für mich gab.

Ich fand den Schalter recht schnell und ging zielstrebig auf den Mitarbeiter zu. Gut, dass hier niemand mehr vor mir war, aber alle, die hier nach Ägypten wollten, waren ja schon längst am Ausgang D.

"Guten Tag", begrüßte ich den jungen Mann.

"Guten Tag. Was kann ich für sie tun?", fragte dieser geschäftsmäßig.

"Können sie mir sagen, ob es für den Flug nach Ägypten, der in 20 Minuten startet, noch einen freien Platz gibt? Ich brauche dringend ein Ticket!"

"Welche Flugnummer hat der Flug?", fragte dieser Mensch weiter in einer Seelenruhe, die mich den letzten Nerv kostete.

"Das weiß ich leider nicht", musste ich zugeben. Warum hatte ich nicht auf die Nummer geschaut? Stirnrunzelnd machte sich der Mann daran, in seinem Computer nach dem Flug und hoffentlich auch einem freien Platz zu suchen.

"Hier hätten wir ihn ja, Flug A3752. Leider gibt es keine freien Plätze mehr in der Klasse 2", sagte er bedauernd. Mein Herz sank in die Hose. War denn alles umsonst gewesen?

"Und in der 1. Klasse?", fragte ich und klammerte mich an diesen letzten Strohhalm. Wieder tippte der Mann in scheinbarer Zeitlupe auf seine Tasten, dann sagte er:

"In der 1. Klasse kann ich ihnen noch ein Ticket verkaufen". Mir fiel ein Stein vom Herzen! Ich würde ein Ticket bekommen!

"In Ordnung, geben sie mir das. Ich zahle mit Kreditkarte", sagte ich und kramte nervös nach meiner Börse, in der ich alle wichtigen Karten aufbewahrte. Ich bekam mein Ticket, bezahlte mit der Karte und verabschiedete mich dann von dem Mann.

Nun ging es also weiter in Richtung Ausgang D. Nur noch wenige Minuten, dann würde Emmanuel ins Flugzeug steigen, ich war unglaublich nervös, ob ich auch alles rechtzeitig schaffte. Ich ging durch die Taschenkontrolle und erntete einen erstaunten Blick des Mitarbeiters, als ich sagte, dass ich kein Handgepäck hatte.

 

Und dann, endlich, war ich in dem Warteraum, wo die Passagiere schon darauf warteten, endlich in den großen Flieger steigen zu können.

Ich sah ihn schnell.

 

Emmanuel saß auf einem Stuhl und las in einem Buch. Als ich ihn so dasitzen sah, wurde es mir erst recht bewusst, dass ich ihn nicht verlieren durfte. Wie hatte ich ihn immer so zurückweisen können? Langsam schritt ich nun auf ihn zu.

Als ich vor ihm stand, konnte ich immer noch nicht einfach hallo sagen. Doch Emmanuel hatte mich bemerkt und blickte nun auf.  

„Megara!“, sagte er überrascht und sah mich wie eine Fata Morgana an. Dann legte er sein Buch zur Seite und stand auf.

„Hey“, sagte ich nur.

„Was machst du denn hier?“, fragte er dann.

„Ich muss dringend mit dir reden, bevor du weg bist. Ich bin froh, dich noch erreicht zu haben“, sagte ich ehrlich.

„Ich kann mir denken, um was es geht“, meinte er.

„Es ist... ich weiß, dass du kündigen kannst, wann du möchtest. Du musst mir nicht den Grund angeben, wenn du die Kündigungsfristen einhälst, und das hast du ja ohne Zweifel vor. Aber ich möchte trotzdem wissen, warum“, sagte ich und bemerkte gar nicht, wie meine Stimme zitterte. Auch vor Angst, dass er gleich einfach sagen würde: Nö, das geht dich nichts an. Und erst sah es tatsächlich so aus, als wenn er meine Frage nicht beantworten würde, doch dann sagte er leise:

„Es ist einfach so, dass ich nicht mehr kann, Megara. Es tut mir leid“

„Du kannst nicht mehr?“, fragte ich zurück. „Wenn du zuviel Arbeit hast, dann sage es mir doch einfach! Ich weiß, dass wir durch die neuen Produkte mehr Arbeit haben! Ich stelle für dich auch einen Assistenten ein, wenn du einen brauchst!“. Ich hätte für ihn ein zweites Taj Mahal bauen lassen, solange er nur bei mir blieb. Da war ein Assistent nun wirklich kein Problem.

"Das ist es nicht“, sagte er aber kurz angebunden und sah nervös auf den Ausgang, der immer noch geschlossen war. Schon allein dieser Blick schmerzte mich, zeigte er mir doch, dass er am liebsten schon weg wäre. Sollte ich überhaupt noch weiter fragen? So langsam fürchtete ich, dass mir die Antwort nicht gefallen könnte.

„Warum willst du dann weg?“, fragte ich dann doch. Verdammte Neugier.

„Megara...“, begann er und sah mich wieder an. „Du kannst es dir doch bestimmt denken“

„Nein, kann ich nicht!“, sagte ich dann. Was könnte es sonst noch sein? Kam er mit der Firmenphilosophie nicht mehr klar? Oder – und diese Erkenntnis zog mir augenblicklich den Magen schmerzhaft zusammen – er hatte sich verliebt und zog in eine andere Stadt deswegen. Womöglich war seine Freundin sogar hier und war nur nochmal auf der Toilette verschwunden. Hektisch sah ich mich um, ob sie schon eifersüchtig angerannt kam. Doch noch war sie nicht zu sehen.

„Oh, ich verstehe“, sagte ich dann und konnte nicht verhindern, dass sich meine Stimme traurig anhörte. „Na, dann wünsche ich euch viel Glück! Euer erster gemeinsamer Urlaub, oder? Das freut mich für dich!“. Nun runzelte er verwirrt die Stirn.

„Von was sprichst du?“, fragte er mich.

„Na, von deiner Freundin. Offensichtlich hast du gekündigt, um zu ihr zu ziehen“, erklärte ich ihm meine neue Erkenntnis.

„Was?“, fragte er ungläubig und ich zweifelte nun doch, ob ich richtig lag. Er hätte ja wohl ein kleines bißchen anders reagiert, wenn ich den Nagel auf den Kopf getroffen hätte. „Megara, du denkst immer an die anderen. Ich könnte also eine Freundin haben, es könnte auch einfach sein, dass es mir in der Firma nicht mehr gefällt. Denkst du vielleicht auch mal an dich?“

„Wie meinst du das?“, fragte ich verwirrt.

„Warum glaubst du nicht, dass du der Grund sein könntest, warum ich gehen muss?“, fragte er direkt, so direkt, dass mir keine Antwort einfiel. Er seufzte auf. „Es tut mir leid. Ich habe meinen Job bei euch geliebt, aber ich kann dich nicht jeden Tag sehen und so tun, als wäre es mir egal, dass du mich so zurückweist. Du hast am Donnerstag, deinem letzten Tag vor meinem Urlaub, nicht einmal daran gedacht, dass ich die nächsten zwei Wochen nicht mehr da sein würde. Es war dir schlicht egal“, sagte er. Und nun ratterte es endlich in meinem Kopf! Und ich fühlte mich augenblicklich schlecht, denn ich war schuld, dass er ging. Nur ich. Ich hätte schreien können.

„Es war mir doch nicht egal, dass du für zwei Wochen in den Urlaub gehst“, versuchte ich die Situation zu retten.

„Das habe ich etwas anders empfunden“, sagte er nur.

„Hör` zu, ich habe deinen Urlaub nicht im Kalender stehen gehabt. Du hattest ihn beantragt, als es mir wegen der Drohbriefe so miserabel ging und da habe ich das einfach wieder vergessen. Dafür entschuldige ich mich", sagte ich. Er schüttelte den Kopf.

"Du musst dich nicht entschuldigen. Es war eine harte Zeit für dich und das weiß ich. Ich bin nur irgendwie davon ausgegangen, dass du weißt, wann ich im Urlaub bin, aber scheinbar hat dich das überhaupt nicht interessiert".

"Es ist... warum hast du am Donnerstag nichts gesagt?", fragte ich ihn und sah ihn an. Er seufzte auf.

"Vielleicht hätte ich das, aber ich wollte wissen, wie wichtig ich dir bin. Ich hatte die Kündigung bereits fertig geschrieben, brachte es aber einfach nicht fertig, sie dir zu geben, deshalb habe ich sie dir auch so feige in die Unterschriftenmappe gelegt. Und als du dann abends gegangen bist und mir nur ganz knapp >tschüß< gesagt hattest, da wusste ich, dass ich keine Chance habe. Am nächsten Tag habe ich die Kündigung dann in deine Mappe gelegt, bevor ich nach Hause bin. Man muss wissen, wann man verloren hat", sagte er und sah mich wieder mit diesem Blick an, der Steine erweichen konnte. Meine Panik, dass er die Kündigung tatsächlich durchziehen würde, wuchs.

"Emmanuel, es tut mir wirklich leid", sagte ich dann. "Ich wollte das alles nicht". Er winkte ab.

"Mache dir keine Vorwürfe, jeder handelt so, wie er es muss. Deshalb musste ich jetzt auch kündigen, ich brauche den Abstand jetzt dringend, sonst gehe ich kaputt". Mein Herz klopfte wie verrückt, so direkt hatte er noch nie mit mir gesprochen. Und so langsam dämmerte es mir, wie die Situation für ihn tatsächlich gewesen sein musste. Ich schämte mich fast augenblicklich, denn er hatte recht: Ich hatte ihn zurückgestoßen, immer und immer wieder. Und das nur wegen meiner blöden Angst, die diese gewissen Herrschaften aus meiner Vergangenheit in mir entfacht hatten. Und hier vor mir stand ein Mann, der alles dafür getan hatte, dass ich das vergessen konnte. Und wie dankte ich es ihm? Ich atmete tief ein und aus und sah ihm in die Augen. So schöne Augen, ich liebte sie. So, wie ich diesen Mann liebte. Es war nun so leicht, mir das endlich einzugestehen, jetzt, wo er gehen wollte, wo er mich satt hatte.

Ich griff sachte nach seiner Hand, und er sah mich ungläubig an.

„Bitte gehe nicht, Manu“, sagte ich und sah, wie seine Augen überrascht aufblitzten. Ganz automatisch war dieser Spitzname für ihn über meine Lippen gekommen, und das hatte auch mich überrascht. Emmanuel sah auf unsere geschlossenen Hände hinab, schloss dann kurz die Augen und blickte mich wieder an.

„Ich möchte nicht, dass du dich nun zu etwas hinreissen lässt, was du eigentlich gar nicht willst, nur weil ich gekündigt habe“.

„Ich lasse mich überhaupt nicht hinreissen!“, sagte ich. Wie konnte er das nur denken? Er sah mich an und ich bemerkte, dass er mir noch nicht ganz glaubte. „Wirklich, Emmanuel! Ich würde dir nie etwas vormachen, und das weißt du auch!“

„Ja, das dachte ich eigentlich...“, meinte er und seine letzten Worte wurden durch die Durchsage verschluckt, die ankündigte, dass sich die Passagiere nun zum Ausgang begeben konnten.

Er ließ meine Hand los, die mich immer noch gehalten hatte, schmiss sein Buch in seinen Rucksack und sah mich wieder an.

„Ich muss gehen. Wir reden nach meinem Urlaub nochmal darüber“. Damit nahm er den Rucksack in die Hand. „Es tut mir leid“, stammelte er noch, bevor er sich herumdrehte und ging.

Ich stand da wie vom Donner gerührt. Ich hatte mich so gegen meine Gefühle gesträubt und mir dabei eingeredet, dass es so besser wäre, denn so könnte mich niemand mehr verletzen. Was für ein einfacher Plan.

 

Was für ein beschissener Plan.

 

Ich war dabei, zwei Menschen unglücklich zu machen. Emmanuel hatte gekündigt, weil er meine Zurückweisung nicht mehr ertragen konnte und das war unverzeihlich. Ich mochte mir nicht vorstellen, wieviel Schmerz ich ihm in den letzten Wochen zugefügt hatte. Ich liebte ihn doch, und deshalb gab es nur noch eines zu tun.

 

Emmanuel war schon ein paar Schritte in Richtung des Ausgangs gegangen, und war in dem Gewühl der Menschentraube, die sich bereits vor dem Schalter gebildet hatte, fast nicht mehr zu sehen. Eine nett lächelnde Flugbegleiterin kontrollierte die Tickets. Schnell ging ich ihm hinterher, bevor er in diesem Chaos verschwunden war.

„Manu, warte!“, schrie ich ihm zu und er drehte sich tatsächlich noch einmal herum. „Bevor du in diesen Flieger steigst, möchte ich, dass du weißt, dass ich dich liebe“. Ich war nicht gerade leise bei meinem Geständnis gewesen, und so sahen uns nun die Umstehenden interessiert an. Woher ich den Mut genommen hatte, ihm das zu sagen, wusste ich nicht. Wahrscheinlich war es dieses unglaublich bedrückende Gefühl, ihn zu verlieren, gewesen, das ich seit seiner Kündigung im Magen hatte. Ich wartete gespannt, wie Emmanuel reagierte. 

Emmanuel war ein paar Schritte auf mich zugekommen und stand nun nur noch einen Meter von mir entfernt.

„Was sagtest du da?“, fragte er und ich hörte seiner Stimme an, dass er fassungslos war. Und genau diese Fassungslosigkeit gab mir nun den Mut, weiterzusprechen.

„Manu, ich liebe dich“, sagte ich deshalb erneut zu ihm und ging nun soweit auf ihn zu, dass sich unsere Körper fast berührten. „Ich weiß, dass es verdammt lange gedauert hat, bis mir das klar wurde, aber dafür ist es jetzt sonnenklar. Du darfst nicht kündigen, denn ich brauche dich“. Ja, ich brauchte ihn. Nicht für die Firma, sondern für mich. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie ein Leben ohne ihn wäre. Er durfte nicht gehen! Doch sah er das ebenfalls noch so?

Emmanuel strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, streichelte über meine Wange und sah mir dabei wortlos in die Augen. Er lächelte mich an, flüsterte meinen Namen und beugte sich dann langsam zu mir runter. Er würde mich küssen...gleich... mir stockte der Atem, während sich mein Herzschlag rasend beschleunigte.

Die Berührung unserer Lippen entfachte in mir ein so wunderbares Gefühl, wie ich es bis dahin nicht kannte. Ganz sanft lagen seine Lippen auf meinen, ganz behutsam umschloss er meinen Mund. Ich nahm ihn in den Arm, spürte seine Muskeln und seinen Herzschlag, der mindestens genauso raste wie der meine. 

Er schmeckte wunderbar, und als er mich umschlang versank ich völlig in diesem Kuss. Meine Sinne liefen auf Hochtouren, ich roch, schmeckte und fühlte ihn. Es war gut, ich war bei ihm und genau dorthin gehörte ich auch. Noch nie hatte ich so stark für einen anderen Menschen gefühlt.

Völlig atemlos stand er nach dem Kuss vor mir, mit zersausten Haaren, roten Wangen und glühenden Lippen. Er war schöner denn je in diesem Moment. Er legte seine Stirn an meine und so standen wir sekundenlang einfach da. Nur wir zwei, das geschäftige Treiben auf dem Flughafen war völlig in den Hintergrund gerückt.

Dann kam die Durchsage, dass der Flug zum letzten mal aufgerufen wurde und wir sahen, dass wir die einzigen waren, die noch hier standen. Emmanuel ließ mich los, ging zu der Flugbegleiterin und sprach mit ihr. Ich wartete gespannt. Schließlich kam er zurück, schnappte sich seinen Rucksack und nahm mit der anderen Hand meine Hand in seine. Fragend sah ich ihn an, doch er lächelte.

„Ich habe das Ticket storniert, und deines gleich mit dazu. Erste Klasse, Megara?“. Ich grinste.

„Ja, natürlich. Man gönnt sich ja sonst nichts“. Nun grinste er noch breiter, doch dann realisierte ich erst richtig, was er gesagt hatte. "Du hast dein Ticket storniert?", fragte ich deshalb nochmal nach.

„Klar. Wenn mir die Frau, die ich liebe, sagt, dass sie mich liebt, reise ich doch nicht fünf Minuten später für zwei Wochen nach Ägypten“.

Engumschlungen verließen wir dann das Gebäude. Manu hatte mich zu sich nach Hause eingeladen, wo ich eine Stunde blieb, bevor ich wieder zurück in die Firma fuhr. Wir waren albern und ausgelassen wie kleine Kinder gewesen, und glücklich.

 

Unwahrscheinlich glücklich sogar. Ich fühlte mich gut wie lange nicht. Auch als ich in der Firma saß konnte ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren. Emmanuel war so präsent als stünde er die ganze Zeit vor mir. Ich erinnerte mich in jeder Sekunde an seine Küsse, an seine lieben Worte und machte viel früher Feierabend als sonst. Natürlich ging ich vor meiner Heimfahrt nochmal zu ihm, denn die wenigen Stunden, die wir getrennt gewesen waren, waren mir wie eine Ewigkeit vorgekommen.

Der Abschied fiel dann dementsprechend emotional aus. Zuviele Gefühle strömten durch meinen Körper, die er nun nach und nach verarbeiten musste. Lange stand ich mit Emmanuel auf dessen Veranda und wollte mich gar nicht mehr von ihm trennen.

"Könntest du mich morgen früh bitte kurz anrufen, Manu? Damit ich weiß, das alles heute nicht nur geträumt zu haben", fragte ich ihn leise.

"Anrufen?", fragte er. "Bist du morgen nicht in der Firma?"

"Doch, ich schon. Aber du nicht, schon vergessen? Du hast doch Urlaub!", sagte ich und mochte gar nicht daran denken, ihn nun mehrere Tage weder spüren noch persönlich mit ihm reden zu können, denn sicher würde er sein Ticket umbuchen und mit dem nächstmöglichen Flugzeug nach Ägypten fliegen. 

"Den sollte ich besser verschieben", sagte er. "Meinst du, meine Chefin ist damit einverstanden?". Seine Mundwinkel zuckten und auch ich musste mir das Lachen verkneifen.

"Hm, wahrscheinlich nicht. Die wird froh sein, dich mal eine Weile nicht sehen zu müssen", neckte ich ihn und wunderte mich fast ein wenig über mich selbst, denn sonst war ich nie so albern. Aber bei ihm fiel mir das sehr leicht. Immer noch verkniff er sich das Lachen.

"Oh, meinst du? Verflixt, daran habe ich nicht gedacht. Schade, dabei habe ich in meinem Nebenbüro so eine bezaubernde Frau sitzen, die ich gerne näher kennenlernen würde. Ich hätte sie zum Beispiel für kommenden Freitag zum Essen eingeladen. Wie soll ich die Frau denn fragen, wenn ich nicht da bin?", spielte er das Spiel weiter.

"Du könntest sie anrufen", schlug ich vor.

"Ist das nicht zu unpersönlich?"

"Ich denke, in dem Fall wäre es in Ordnung. Oder ich frage sie für dich"

"Denkst du, sie hat am Freitag überhaupt Zeit?", fragte er weiter, und die Frage galt nun natürlich eindeutig mir. Deshalb musste ich mir die Antwort auch nicht lange überlegen.

"Ja, sie hat am Freitag Zeit", sagte ich deshalb zu ihm, und seine Augen strahlten noch vor seinem Mund.

"Dann sage ihr bitte, dass ich nach Sunset Valley fahre und sie etwa um 19.00 Uhr abhole"

"Ich richte es aus", sagte ich und fuhr mit meiner Hand durch seine weichen Haare.

"Ich liebe dich", sagte er und küsste mich wieder.

"Und ich dich", sagte ich, bevor ich mich dann von ihm verabschiedete, mich umdrehte und ging.

Am nächsten morgen begrüßte ich Frau Behringer, besprach wie immer alles Wichtige, was an dem Tag auf mich zukommen würde und musste mich zusammenreißen, um ihr konzentriert folgen zu können.

"Herr Lindthof wird seinen Urlaub übrigens verschieben, er wird nachher kommen“, gab ich der Sekretärin die neue Information. Und versuchte, nicht allzu offensichtlich zu grinsen.

„Gut, ich notiere es mir“, sagte sie und nahm sofort ihren Kalender, wohl um Manu`s Urlaub zu streichen.

„Wenn er im Hause ist, muss ich ihn sofort sprechen“, sagte ich noch zu ihr, bevor ich mich umdrehte und direkt in Emmanuels Augen sah.

„Guten morgen, ich bin schon da“, sagte er. Ich starrte ihn an, sah seine Augen leuchten und seinen Mund lächeln und ahnte natürlich, dass ich in diesem Moment ganz genauso aussah. Jetzt stark bleiben, und sich nichts anmerken lassen! Diese Worte musste ich mir innerlich sagen, damit ich nicht einfach auf ihn zustürzte, was vor Frau Behringer ein kleines bisschen peinlich geworden wäre.

„Guten morgen, Herr Lindthof“, wurde Emmanuel nun von unserer Sekretärin begrüßt, und bevor er zu ihr ging und ihr die Hand zur Begrüßung gab, zwinkerte er mir noch kurz zu. Mein Herz schlug schon wieder schneller, und ich ging in mein Büro vor, um mein Gesicht vor allem vor unserer Sekretärin verbergen zu können. Ich fürchtete, dass das nämlich alles verraten hätte.

Manu kam dann kurz darauf ebenfalls herein, und als die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war, umarmte ich ihn sofort.

„Mein Liebling“, flüsterte er leise und streichelte über meine Wange.

„Kein Traum“, flüsterte ich zurück, und er wusste sofort, was ich meinte.

„Nein, kein Traum“, lächelte er und küsste mich. So fühlte es sich also an, wenn man liebte und geliebt wurde.

Doch natürlich hatten wir jetzt nicht ewig Zeit für uns, schließlich waren wir hier ja bei der Arbeit. Und als Frau Behringer meine Assistentin ankündigte, die pünktlich wie immer erschien, setzten wir uns wie die Unschuldsengel auf die Stühle und warteten, bis Sophie hereinkam.

Sophie war erfreulich tüchtig und hatte sich schon gut eingearbeitet. Sie konnte nun schon einige Aufgaben auch selbstständig erledigen und entlastete mich so schon sehr gut. Ich würde also in Zukunft tatsächlich mehr Zeit für meinen Sohn haben, auch wenn ich dafür dann Emmanuel nicht sehen konnte. Doch da sich unsere Beziehung nun verändert hatte, würden wir uns zukünftig dann eben öfters am Wochenende treffen.

 

Da ich Emmanuel immer noch sehr verliebt ansah, entging mir Gott sei Dank der Blick, den Sophie ihm zuwarf.

Sie grüßte uns und setzte sich auf den leeren Stuhl neben Emmanuel.

"Sophie, heute haben wir einen Außentermin in der Firma proWerbung, die die neue Kampagne für unsere neuen Schädlingsbekämpfer erarbeiten soll. Da Emmanuel eigentlich im Urlaub wäre und nur durch einen, äh... Zufall nun hier ist, wird er bei dem Termin nicht dabei sein. Dafür haben wir jetzt die Möglichkeit, uns nochmal alle wichtigen Einzelheiten dazu anzuhören. So eine große Kampagne habe selbst ich noch nie in die Wege geleitet", gab ich zu.

"Was auch nicht viel anders ist als bei kleineren Budgets", begann dann Manu und erklärte uns Details über die Firma an sich, mit der er schon geschäftliche Kontakte hatte, dann über unseren Auftrag an die Firma und das Budget, das wir zur Verfügung hatten. Sophie und ich waren dankbar für jede Information.

"Ja, mehr gibt es nicht zu beachten", beendet Manu das Gespräch, und ich fühlte mich gut vorbereitet.

"Ich weiß nicht", gab aber Sophie zu bedenken, "wäre es nicht besser, wenn Emmanuel bei dem Termin dabei wäre? Er hat eben doch die meiste Ahnung von uns"

"Nun, zu dritt können wir dort jetzt nicht aufkreuzen, Herr Müller erwartet ja nur uns beide. Außerdem müssen wir beide das lernen, es schadet also weder dir noch mir, dorthin zu gehen. Wir schaffen das schon!", munterte ich sie auf.

"Davon ich bin ebenfalls überzeugt!", sagte Emmanuel und sah mich so an, dass es mich schon wieder ganz kribbelig durchfuhr. Hach, warum mussten wir jetzt auch hier herumsitzen?

So gesehen war es fast gut, dass Sophie und ich schon aufbrechen mussten, denn Manu vor der Nase sitzen zu haben und sich nichts anmerken zu lassen fiel mir nicht gerade leicht. Da musste ich noch viel lernen. Ansonsten konnte ich mir gleich auf die Stirn tätowieren lassen, dass ich mit Emmanuel zusammen war. 

Am Freitag hatten wir unsere erste Verabredung als Paar. Punkt 19.00 Uhr stand Emmanuel draußen und wartete auf mich.

 

Bei der Kleiderfrage war ich mir sehr unsicher gewesen, ich hätte doch Susanne fragen sollen, sie hatte immer einen guten Rat für mich übrig. Aber so hatte ich mich einfach ein wenig aufgehübscht. Als ich Manu in seinem Anzug dastehen sah, war ich über diese Entscheidung froh.

Sein bewundernder Blick tat mir dann richtig gut.

"Du siehst wundervoll aus", sagte er dann zu mir und küsste mich.

Weil die Temperaturen so schön mild waren, beschlossen wir spontan draußen zu essen. Ich empfahl dafür ein kleines Bistro in Sunset Valley, wofür wir zwar etwas overdressed waren, das Essen aber super schmeckte.

Eines unserer größten Gesprächsthemen war dann unser Zusammenkommen. Emmanuel wollte wissen, wann ich gemerkt habe, dass ich ihn liebe.

 

Nun, diese Frage war nicht leicht zu beantworten gewesen. Richtig klick hatte es gemacht, als ich seine Kündigung in den Händen gehalten hatte. Dieser Alptraum, ihn zu verlieren, hatte diese dummen Mauern in mir zum Einsturz gebracht. Gott sei Dank.

 

Aber wenn man genau darüber nachdachte, habe ich mich eigentlich früher in ihn verliebt. Ich hatte mich nur gegen meine Gefühle gewehrt. Angenommen, ich wäre nie durch einen Mann auf die Schnauze gefallen und Emmanuel und ich wären ganz normale Kollegen gewesen, irgendwo in einer Firma, hätte ich spätestens dann mit Gewissheit sagen können, ihn zu lieben, an dem Abend, als ich zum ersten mal bei ihm zu Hause gewesen war. Es hatte mir schier das Herz gebrochen ihn zurückweisen zu müssen, doch ich hatte ja gedacht, das einzig richtige zu tun. Doch geliebt hatte ich ihn da schon.

 

Das alles erzählte ich ihm dann auch und ich bemerkte, dass ihn das erleichterte. Ich konnte mir denken warum: So wusste er, dass er keine falschen Schlüsse gezogen hatte. Ganz einfach.

 

Er selbst erzählte mir dann nochmal von der Gala, als wir uns kennengelernt hatten. Ich wollte nämlich von ihm wissen, was ihm an mir so gefallen hatte.

"Alles, Megara. Deine ganze Ausstrahlung. Du sahst so scheu aus, so dass ich sofort das Gefühl bekam, dir beistehen zu müssen, worin auch immer. Dann deine Art zu lächeln oder zu reden, deine Augen, einfach alles. Ich habe dich gesehen und wollte dich einfach näher kennenlernen. Als du dann meine Chefin geworden bist habe ich fast einen Herzinfarkt bekommen, vor Aufregung, wohlgemerkt. Mir schossen dann solche Fragen durch den Kopf, wie: Wie kann ich sie beeindrucken? Wird sie mich als Geschäftsführer für gut befinden? Wie kann ich verhindern, vor ihr wie ein Trottel zu sitzen?". Ich lachte auf, denn genau diese Anspannung hatte ich ja so deutlich bemerkt und völlig falsch gedeutet. Ich schämte mich fast, Manu mal als arrogant befunden zu haben.

Nach dem Essen unternahmen wir noch einen Spaziergang und ich zeigte Emmanuel einen der schönsten Strandabschnitte in Sunset Valley. Dort hatten wir dann wieder viel Zeit, uns nahe zu sein. Und das war auch gut so, denn viel zu lange hatten wir darauf verzichten müssen.

 

Als mich Emmanuel nach Hause gebracht hatte und sich auf den weiten Weg nach Sim City machte, konnte ich lange nicht einschlafen. Ich lag in meinem Bett und wälzte die Erinnerungen an den heutigen Abend hin und her. Was für ein tolles Date!

Nun, Emmanuels kurzer Besuch vor unserem Haus war nicht unbemerkt geblieben. Meine Mutter hatte mich angesprochen und mich gefragt, ob sie das richtig gesehen hätte, das der Geschäftsführer bei uns gewesen war. Ich hatte dann eine leise, unverbindliche Antwort gegeben, mit der sie sich vorerst auch zufrieden gegeben hatte. Nachdem mich mein Vater dann aber beim Abendessen ebenfalls immer wieder längere Zeit begutachtet hatte, war es wohl nicht zu leugnen: Sie ahnten was.

 

Ich sprach dann gleich bei nächster Gelegenheit mit Emmanuel darüber und sagte ihm auch, dass ich ihn gerne meiner Familie vorstellen würde. Auch er war sofort damit einverstanden, unsere Beziehung nun offizieller zu machen, wenn wir auch in der Firma noch Schweigen wollten. Zuerst waren Familie und Freunde dran.

 

Doch bevor ich Manu meinen Eltern vorstellen konnte, ergab es sich, dass ich seine Schwester Tatjana kennenlernte. An einem Sonntag hatte sie ihren Besuch bei ihm zum Mittag angekündigt und Emmanuel hatte mich dazu eingeladen.

 

Beim Frühstück war ich dann so nervös, dass ich kaum einen Bissen hinunterbekam. Seine Schwester war seine einzige Verwandte. Seine Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er 10 Jahre alt war. Er und Tatjana waren dann bei der Schwester seiner Mutter, der einzigen Verwandten, die noch lebte, aufgewachsen, die allerdings vor drei Jahren ebenfalls gestorben ist.

 

Natürlich hingen die beiden deshalb aneinander und ich wollte unbedingt, dass sie mich mochte.

Kurz bevor sie kam war ich so nervös, dass es sogar schon Manu auffiel.

"Hey Liebes, was ist denn los?", fragte er mich und nahm mich in den Arm.

"Ach, ich...", stammelte ich und blickte wieder nervös zur Uhr. Gleich würde Tatjana klingeln. Was sollte ich mit ihr reden? Mochte sie es, unterhalten zu werden oder nervten sie Quasselstrippen? Durfte ich Manu mal in den Arm nehmen oder fand sie sowas peinlich? War sie jemand, der lange brauchte, um mit einem Menschen warm zu werden oder war sie offen für neue Bekanntschaften? Würde sie mich als Eindringling sehen, der ihr die einzige Familie nahm, oder als neues Familienmitglied? Ich bekam schon Kopfschmerzen ob der vielen Fragen, die mir durch den Kopf rasten und ich hatte das blöde Gefühl, nachher total zu versagen.

 

Wäre ja nicht das erste mal.

 

"Megara, du zitterst ja. Was ist nur los?"

"Manu, ich...", wieder brach ich den Satz ab. Ich konnte ihm doch nicht sagen, dass ich Angst davor hatte, seine Schwester kennenzulernen!

"Du wirst doch nicht etwa wegen Tati nervös sein, oder?". Als ich nicht sofort verneinte, wusste er natürlich, dass genau das mein Problem war. "Liebes, meine Schwester wird dich mögen, da bin ich mir sicher. Und du sie. Ich wüsste nicht, warum das nicht klappen sollte. Sie ist zwar ein verrücktes Huhn und hat Temperament ohne Ende, aber sie weiß auch, dass ich mit dir glücklich bin und sie würde sich nie zwischen mich und die Frau stellen, die ich liebe". Ich schluckte.

"Ich bin trotzdem nervös", sagte ich dann ehrlich. 

Und dann klingelte es an der Haustür. Es war soweit. Wir gingen beide in den Flur, und ich konnte Tatjana schon durch das Fenster sehen.

 

"Alles ist gut, Schatz", sagte Manu noch zu mir, bevor er die Tür öffnete, um seine Schwester zu begrüßen.

"Kröte!", begrüßte sie ihn und ich starrte sie verblüfft an.

"Floh, schön dich zu sehen!", sagte Emmanuel und nahm seine Schwester in die Arme. Kröte? Floh? Ich verstand gar nichts mehr.

"Ich freue mich auch!", sagte Tatjana. "Wie geht es dir? Ach, halt! Das brauchst du mir nicht zu beantworten! Ich sehe es dir an! Möchtest du mir jetzt endlich deine Freundin vorstellen?". Manu grinste sie an und ich versuchte, mit ihrem Tempo mitzuhalten. Manu hatte gesagt, dass sie Temperament hatte, und das war vermutlich noch untertrieben gewesen.

"Aber selbstverständlich, Floh", sagte Manu immer noch grinsend und trat neben mich. "Darf ich dir vorstellen: Megara von Hohenstein. Schatz, meine Schwester Tatjana". Ich reichte ihr die Hand, die sie kräftig drückte.

"Freut mich sehr", sagte ich und besah sie mir genauer.

Tatjana war eine hübsche Frau mit tausend Sommersprossen. Ihre Augen waren tiefblau, während Emmanuels grünblau waren. Sie hatte viel hellere Haut als er und auch sonst ähnelten sie sich bis auf die blonden Haare nicht so sehr.

"Und ich freue mich erst!", sagte sie strahlend. "Du glaubst gar nicht, wie lange ich schon darauf warte, dass meine Kröte endlich mal eine Frau findet".

"Tatjana!", protestierte Emmanuel, doch es hörte sich nicht zu erbost an.

"Ist doch wahr!", wehrte sie sich.

"Na, und was ist mit dir? Du wandelst doch bestimmt immer noch allein auf Mutters Erden herum, oder?", fragte er.

"Ich habe keine Zeit für sowas", sagte sie lakonisch.

"Wieso keine Zeit? Einen Mann kann man auch im Fitnessstudio treffen", sagte Emmanuel und ich fragte mich, ob Tatjana Dauergast in den Studios war. Die Figur dazu hätte sie ja.

"Ja, aber ich habe keine Zeit für einen Freund, das weißt du doch. Nach meinem Studium geht es in die Kaserne und gut", meinte sie und meine Verwirrung wuchs. Von was redeten die beiden da?

"Also, bevor wir jetzt wieder über deinen seltsamen Berufswunsch diskutieren, kommst du jetzt erstmal richtig herein. Ich mache den Salat fertig, ihr zwei hübschen könnt ja schonmal ins Esszimmer gehen", sagte Emmanuel lachend.

Während Manu in der Küche das Mittagessen zubereitete, sollte ich nun also das Temperamentbündel irgendwie unterhalten. Ich überlegte fieberhaft, was ich sagen könnte, doch Tatjana nahm mir die Arbeit ab:

"Ah, Sonnenblumen. Sehr schön. Die sind bestimmt von dir, oder? Emmanuel ist nie auf die Idee gekommen, Blumen zur Deko zu kaufen. Das hat er so mit der Gattung Mann gemeinsam, was?". Ich kicherte.

"Naja, die hier sind aber tatsächlich von ihm. Er hat sie mir gekauft". Tatjana blickte mich anerkennend an.

"Da kannst du dich jetzt aber "von" schreiben", meinte sie. "Ach halt, du heißt ja schon von Hohenstein", lachte sie dann, und ich stimmte mit ein. "Früher wäre mein Bruder vermutlich nicht auf die Idee gekommen, Blumen zu kaufen"

"Du hast vorhin etwas von Kaserne gesprochen. Möchtest du Berufssoldatin werden?", fragte ich sie dann.

"Nicht ganz. Es ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zu meinem Traumberuf, nämlich den der Astronautin. Davor steht aber noch viel auf dem Programm. Die körperliche Fitness, die ich mir nun durch regelmäßige Besuche in den Fitnessstudios aneigne, ist da fast noch das kleinste Problem. Wichtig ist auch ein Studium im Naturwissenschschaftlichen Bereich, da bin ich gerade noch dabei, meinen Dr. in Physik zu machen. Gute Englischkenntnisse sind ebenso wichtig, und das ist bei mir ein kleiner Knackpunkt, muss ich zugeben, da muss ich mehr büffeln als andere. Außerdem wäre es noch gut, den Pilotenschein zu haben, und zur Pilotin möchte ich mich eben beim Militär ausbilden lassen. Die Ausbildung zur Astronautin erfordert viel Vorarbeit"

"Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der auf diesen Beruf hin zuarbeitet", sagte ich. 

"Naja, ich habe diesen Traum schon als Kind gehabt, der Weltraum hat mich schon immer magisch angezogen. Und auch wenn ich das große Ziel nie erreichen sollte, so habe ich dann mehrere Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Physik, Pilot... mal sehen, für was ich mich entscheiden würde. So einen Job wie du und Emmanuel könnte ich jedoch nie machen". Nein, das konnte ich mir auch nicht vorstellen.

Dann war Emmanuel auch schon mit dem Salat fertig und wir konnten essen. Das Tischgespräch war dank Tatjana äußerst lebhaft, sie war so ganz anders als Emmanuel, der in jeder Situation die Ruhe in Person war.

Natürlich wollte ich auch irgendwann wissen, wie die beiden zu ihren seltsamen Spitznamen füreinander gekommen waren, und Emmanuel sagte:

"Das ist eigentlich völlig unspektakulär. Als ich so mit 13, 14 Jahren mich mittags mit meinen Kumpels getroffen habe, wollte meine kleine Schwester immer mit. Sie ist zwei Jahre jünger als ich, und du kannst dir bestimmt denken, wie klasse es ein 14jähriger findet, irgendwo mit seiner 12jährigen Schwester aufzukreuzen. Natürlich habe ich sie nicht mitgenommen", grinste er.

"Es war so ungerecht! Er hatte nämlich einen total süßen Freund, musst du wissen!", unterbrach ihn Tatjana mit vollem Mund. Ich schmunzelte.

"Na, und dann habe ich irgendwann zu ihr gesagt, dass sie noch ein kleiner Floh ist und gefälligst zu Hause bleiben soll", sagte Emmanuel. "Also, das war doch nicht schlimm? Andere Brüder hätten da noch ganz anderes gesagt".

"WIE du das gesagt hast, das war der Knackpunkt!", erboste sich Tatjana. "Na, und da habe ich ihm gesagt, dass er eine schleimige Kröte ist und verschwinden soll". Ich sah von einem zum anderen und konnte mir das Lachen kaum verkneifen.

"Und warum nennt ihr euch dann heute noch so?", wollte ich dann wissen.

"Ach weißt du, Schatz", sagte Emmanuel, "wir haben uns das in den nächsten paar Jahren noch so oft an den Kopf geworfen, dass es zur Gewohnheit wurde. Heute ist es aber absolut liebevoll gemeint. Tatjana weiß, dass etwas mit mir nicht stimmen würde, wenn ich sie mal nicht mehr Floh nennen würde".

"Genau", stimmte sie zu. "Das hat meine Kröte schön erklärt". Ich sah dieses unsichtbare Band zwischen den beiden und fand es zum ersten mal schade, dass ich keine Geschwister hatte. Natürlich war Samuel wie ein Bruder für mich, doch solche Geschwisterkämpfe hatten wir natürlich nie ausgetragen, dazu waren wir uns immer zu sehr bewusst gewesen, dass wir einander brauchten. Denn einen Freund konnte man verlieren, ein Bruder blieb auch nach dem größten Streit noch der Bruder.

Nach dem Essen setzten wir uns ins Wohnzimmer und setzten dort unsere Gespräche fort. Ich erfuhr noch so einiges aus der Vergangenheit der beiden, etwa, dass Emmanuel schon lange Single war. Seine letzte Freundin verließ ihn etwa anderthalb Jahre nach dem Betriebswirtschaftstudium, was auch sie studiert hatte. Es war seltsam für mich, nun etwas über eine frühere Beziehung von Manu zu wissen, obwohl es klar gewesen war, dass er natürlich schon Erfahrung gesammelt haben musste. Da war es aber noch hinter einem Nebel gewesen, und plötzlich hatte diese Gestalt hinter dem Nebel einen Namen und einen Beruf. Ich schüttelte den Gedanken ab und wollte nicht mehr daran denken.

Tatjana verabschiedete sich dann gegen Abend und herzte ihren Bruder, bevor sie sich an mich wandte.

"Es war toll, dich kennengelernt zu haben, Megara!", sagte Tatjana zu mir und umarmte mich ebenfalls.

"Ich freue mich auch", stimmte ich zu.

"Ich hoffe, dass wir uns bald mal wieder sehen werden!", meinte sie.

"Da bin ich sicher. Immerhin werde ich in Zukunft noch so ein paar mal hier in Sim City sein", lächelte ich.

"Das stimmt natürlich", sagte sie.

Wir machten es und dann wieder auf dem Sofa gemütlich und dann dachte ich tatsächlich nicht mehr an diese Vorgängerin. Ich hatte schließlich schon ein Kind von einem anderen Mann, und damit musste Emmanuel ja auch klar kommen.

 

Und außerdem schaffte es Manu spielend, mich auf andere Gedanken zu bringen.

Natürlich wollte ich Emmanuel auch meinen Eltern vorstellen, doch ich fand nie den richtigen Zeitpunkt, ihnen zu sagen, dass mein Geschäftsführer mein Partner geworden war. Ein Versprecher meinerseits kam mir dann zu Hilfe, denn anstatt: "Ich gehe jetzt in die Firma", hatte ich "Ich gehe jetzt zu Emmanuel" gesagt. Meine Mutter hatte mich mit großen Augen angeschaut und gefragt, ob ich ihr etwas erzählen wolle. So war mir zumindest der schwierige Anfang genommen worden.

 

Meine Eltern hatten Manu dann an einem Sonntag nachmittag zum Kaffee eingeladen. Wir warteten im Wohnzimmer auf seine Ankunft und ich konnte vor Aufregung nicht sitzen bleiben, sondern lief in unserem frisch renovierten Wohnzimmer auf und ab.

"Jetzt setz` dich doch mal hin, Megara!", brummte mein Vater, der die Neuigkeit, dass ich nun mit Emmanuel zusammen war, nicht ganz so euphorisch wie erhofft aufgenommen hatte. Er sah es als schwierig an, wenn ich in meiner Position ein Verhältnis mit einem Angestellten hatte. Meine Mutter hatte nur gemeint, dass man abwarten müsse, was die Zeit brächte.

 

Ich hätte am liebsten über die Worte "Verhältnis" und "Angestellter" aufbegehrt, wollte aber die angespannte Situation nicht noch verschärfen. Als Verhältnis sah ich meine Beziehung zu Emmanuel nun wirklich nicht und da er mehr als ich über die Firmenvorgänge wusste, kam er dem Chef näher als ich, wenn das auf dem Papier auch anders war. Mein Vater war skeptisch wie wohl viele Väter, wenn ihre "kleinen" Mädchen einen Mann ins Haus brachten. Das hieß nämlich für sie, dass sie nicht mehr an erster Stelle ihrer Töchter standen und deshalb nicht mehr der Held aus Kindertagen waren.

 

Ich hoffte nur, dass sich mein Vater nachher zu benehmen wusste. 

Als Emmanuel dann endlich vorfuhr, war ich schon das reinste Nervenbündel. Ich war auch noch nie in dieser Situation gewesen, dass ich hochoffiziell meinen Freund meinen Eltern vorstellte.

Als ich zur Haustür ging, um Manu ins Haus zu lassen, kam mir aus dem Bad Sam entgegen.

"Was machst du denn hier?", fragte ich, und konnte selbst vor ihm meine Nervosität nicht verbergen.

"Wie, was mache ich hier? Ich wohne hier, schon vergessen?", lachte Sam.

"Du wirst jetzt aber nicht dabei zusehen, wie Emmanuel unter die Lupe genommen wird, oder?", fragte ich ihn. Das hätte noch gefehlt!

"Also, ich werde ja wohl einen Blick auf deinen Freund werfen dürfen, oder?", sagte er und sah mich prüfend an. "Oder hast du Angst, er könnte hier nicht bestehen?".

"Nein, das nicht. Aber mein Vater... ach, vergiss es! Du wirst anständig sein, ja? Dieser Mann ist mir sehr wichtig!"

"Ja, das weiß ich doch! Aber du bist mir wichtig und natürlich werde ich schauen, ob er gut genug für dich ist". Ich seufzte auf.

"Das musst du nicht, das macht mein Vater schon, fürchte ich", sagte ich noch. "Wo ist eigentlich dein Bart geblieben? Und die Haare trägst du auch anders!". Sam setzte gerade zu einer Antwort an, als Manu an der Tür klingelte.

"Showtime!", grinste Sam, woraufhin ich ihm ordentlich eins zwischen die Rippen stieß und ihn dann wegscheuchte, damit ich Emmanuel in Ruhe begrüßen konnte.

Ich musste feststellen, dass ich heute nicht die einzige Person mit flatternden Nerven war.

"Du siehst nervös aus", stellte ich fest, als ich Manu begrüßte.

"Du auch", sagte er nur.

"Halb so wild", erwiderte ich wenig überzeugend, nahm ihn in den Arm und gab ihm einen Kuss. "Komm`, bringen wir es hinter uns". Mit diesen Worten zog ich ihn ins Haus.

Als wir das Wohnzimmer betraten, standen meine Eltern auf. Emmanuel ging ihnen entgegen, reichte zuerst meiner Mutter, dann meinem Vater die Hand und stammelte:

"Vielen Dank für die Einladung, äh... Graf...". Ich räusperte mich schnell, Manu blickte zu mir und ich schüttelte leicht den Kopf, weil ich gesehen hatte, wie die Augenbraue meines Vaters ein Stockwerk höher gerutscht war. Meine Mutter rettete die Situation.

"Herr Lindthof, es freut mich, dass wir uns einmal wieder sehen! Hatten sie eine gute Anfahrt?"

"Ähm, ja, danke. Aber sagen sie doch bitte Emmanuel zu mir!". Nun räusperte sich mein Vater.

"Ich hoffe, dass sie guten Hunger mitgebracht haben, mein Limettenkuchen dürfte gleich fertig sein", sagte er.

"Ja, Megara hat mir schon richtig von ihrem Kuchen vorgeschwärmt, und ich freue mich schon darauf", antwortete Manu.

"Gut", sagte mein Vater. "Dann gehe ich mal in die Küche". Er ging hinaus und Mutter folgte ihm mit den Worten, dass sie den Tisch decken wollte. So hatten Manu und ich kurz ein paar Augenblicke Zeit für uns.

"Gott, war ich furchtbar!", sagte Emmanuel, als wir alleine waren, "Ich freue mich also auf einen Limettenkuchen! Wie peinlich!". Er hörte sich wirklich richtig niedergeschlagen an.

"Nein, du warst nicht furchtbar", widersprach ich ihm. "Das war doch in Ordnung so"

"Du selbst aber musstest mich mal korrigieren. Danke übrigens. Mag es dein Vater nicht, ihn mit dem Titel anzureden?".

"Nein, wir benutzen ihn alle nicht, und mein Vater legt auf den Grafentitel am wenigsten wert von der ganzen Familie, das konntest du aber nicht wissen".

"Mir ist das plötzlich in den Kopf gekommen, als wir uns begrüßt haben und ich habe gedacht, er könnte vielleicht beleidigt sein, wenn ich ihn nicht mit Graf anrede". Ich strich ihm beruhigend über den Arm, musste innerlich aber nun doch ein wenig schmunzeln. Emmanuel hatte wohl die liebenswerte Gabe, in Situationen, in denen er nervös ist, so manches Fettnäpfchen anzuziehen.

"Das macht wirklich nichts, mache dir keine Gedanken. Mein Vater ist wirklich schwer in Ordnung, das kannst du mir glauben. Er muss sich nur noch an den Gedanken gewöhnen, dass wir ein Paar sind, das ist alles", beruhigte ich ihn.

Bevor wir dann auch in das Esszimmer gingen, küsste ich ihn nochmal innig.

Beim Essen war dann auch Sam da und hatte sich natürlich Manu gegenüber gesetzt. Zuerst kam kein rechtes Tischgespräch zustande, doch nach und nach wurden wir lockerer, was vor allem an Sam lag, der ganz ungezwungen mit Emmanuel sprach. Dafür war ich ihm wirklich dankbar, aber auf ihn hatte ich mich ja schon immer verlassen können.

 

Am Ende hatte ich das Gefühl, dass selbst mein Vater Emmanuel wohlgesonnen war. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich ihn wohl daran erinnern müssen, dass ich nur dank Manu noch lebte. Aber das wusste mein Vater ja auch, weshalb es ihm nun sicher leichter gefallen war, Emmanuel als den Mann an meiner Seite zu akzeptieren.

Als Sven von seinem Mittgasschlaf erwachte kam es auch zum ersten Kontakt zwischen ihm und Manu. Ich ging zu Sven nach oben, um ihn aus seinem Bettchen zu holen, zog ihm den Schlafanzug aus und seine Alltagskleidung an.

Als ich mit meinem Sohn die Treppen nach unten ging, flüsterte ich ihm zu:

"Schatz, wir haben Besuch. Ein sehr netter Mann ist da, der sich sehr freut, dich zu sehen". Sven äußerte sich dazu gar nicht, sondern sah gespannt um die Ecken, was mir zeigte, dass er nun diesen "netten Mann" suchte, der hier war. Und ich war sehr gespannt, wie die beiden aufeinander reagieren würden.

Manu wartete schon auf uns, und als wir vor ihm standen, sagte ich zu Sven:

"Schau, das ist der Mann. Er heißt Emmanuel". Manu beugte sich zu Sven runter und begrüßte ihn, vermied es jedoch, ihm zu nahe zu kommen.

Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme drückte sich Sven sofort an mich.

"Alles gut, Schatz", beruhigte ich ihn und wandte mich dann an Manu:

"Er fremdelt zur Zeit. Da müssen wir geduldig sein"

"Das ist doch selbstverständlich", antwortete Emmanuel, obwohl ich ihm die Enttäuschung, dass Sven so völlig negativ auf ihn reagiert hatte, durchaus ansah. Ich hätte es mir auch anders gewünscht, auf der anderen Seite war das Verhalten in Svens Alter völlig normal.

Emmanuel ging dann nochmal kurz hinaus zu seinem Wagen, um ein kleines Auto zu holen, was er für Sven mitgebracht hatte.

"Sven, ich habe dir etwas mitgebracht. Ein Auto. Gefallen dir Autos?", fragte er meinen Sohn, dem ich ansah, dass er am liebsten nach dem neuen Spielzeug gegrabscht hätte, sich jedoch nicht traute und sich wieder an mich drückte. Manu legte das Auto dann auf den Boden und ich setzte meinen Sohn daneben ab. Emmanuel entfernte sich sogar noch ein paar Schritte von ihm und ich gab ihm den Tipp, Sven nun erstmal nicht mehr zu beachten, so dass er nicht das Gefühl hatte, beobachtet zu werden.

Natürlich siegte die Neugier irgendwann und Sven krabbelte zu dem neuen Spielzeug, um damit zu spielen. Der Anfang war gemacht.

Abends, als Sven bereits wieder im Bett war, hatten sich auch meine Eltern zurückgezogen. Samuel war zu einer Verabredung aufgebrochen, wo ich wetten konnte, dass mal wieder eine Frau im Spiel war, so wie er sich herausgeputzt hatte. Ich hatte ihn schon jahrelang nicht mehr ohne Bart gesehen.

 

Manu und ich machten es uns auf der Couch bequem, und endlich konnte ich mich wieder entspannt an ihn kuscheln. Es war anstrengend gewesen, dieses Bekanntmachen. Aber jetzt hatten wir es geschafft. Meine Familie wusste, dass er zu mir gehörte.

"Was denkst du, wie habe ich bei deinen Eltern abgeschnitten?", wollte Emmanuel wissen.

"Gut natürlich", sagte ich.

"Ich meine das ernst", sagte er.

"Ich auch", gab ich zurück. "Meine Mutter war sowieso von Anfang an ganz angetan von dem Gedanken, dass mein Lebensretter mit mir zusammen ist. Na, und mein Vater kann es vielleicht nicht zeigen, aber er mag dich auch. Das habe ich schon damals im Krankenhaus gemerkt".

"Wirklich?"

"Aber sicher", antwortete ich. "Außerdem hat er gar keine andere Möglichkeit, als dich zu akzeptieren, denn er weiß, wie wichtig du mir bist". Emmanuel blieb kurz still, dann sagte er:

"Es gehen übrigens auch schon die ersten Gerüchte um". Ich verstand nicht sofort.

"Was für Gerüchte? Und wo gehen die rum?", fragte ich deshalb nach.

"In der Firma. Über unsere Beziehung", beantwortete Emmanuel meine Fragen. Mir fuhr der Schreck in die Glieder.

 

"Wie hast du das mitbekommen? Und wer tratscht das? Wer weiß davon?", fragte ich nach meiner Schockminute.

"Frau Behringer hat es mir im Vertrauen gesagt. Sie weiß Bescheid, hat mir aber glaubhaft versichert, nichts erzählt zu haben. Ich meine, die Frau betreut uns täglich stundenlang, da war es eigentlich fast klar, dass sie mal was merkt, wenn ich dich immer wie ein verlieber Gockel anschmachte". 

"Und von wem weiß sie, dass er tratscht?", fragte ich weiter. Irgendwie regte mich das gerade auf. Wir waren wirklich vorsichtig gewesen und hatten gearbeitet wie sonst auch. Wir gehörten zu den ersten, die da waren, und gingen oft als Letztes raus. Wir hatten zusammen in den letzten Monaten soviel Geld erwirtschaftet, dass wir dank den neuen Produkten sogar neue Arbeitsplätze schaffen konnten. Und dann hatten ein paar wenige Mitarbeiter nichts besseres zu tun, als zu schauen, ob Manu und ich uns nun verliebt ansahen oder nicht?

"Sie wollte keine Namen nennen, weil sie es nur über dritte oder sogar vierte Personen mitbekommen hatte, und ich habe dann nicht weiter gefragt. Ich habe mich bei ihr für die Information bedankt und sie dann in den Feierabend geschickt, es war schon spät, denn sie hat extra gewartet, bis kaum mehr jemand da war. Sie war es garantiert nicht, da bin ich mir sicher". Auch ich konnte mir das nur schwer vorstellen, Frau Behringer hatte mein vollstes Vertrauen.

"Ich auch. Aber das heißt für uns, dass wir es nun auch in der Firma offiziell machen müssen. Wir schreiben eine knappe Erklärung per Mail an die Mitarbeiter, in der wir erklären, auch privat eine Beziehung zu führen, wir aber nicht wünschen, dass das in der Firma zum Gesprächthema wird. Alle sollen so weiterarbeiten wie bisher auch. Fertig. Dann sollten die Gerüchte auch langsam verstummen, oder was meinst du?". Er überlegte noch kurz, dann meinte er:

"Ja, ich denke, das ist das beste. Machen wir es so, gleich morgen früh"

Emmanuel übernachtete dann auch bei mir. Es war wunderbar, ihn so nah bei mir zu haben und urplötzlich knisterte die Luft zwischen uns vor erotischer Spannung.

 

Doch ich konnte nicht weitergehen. Meine Eltern lagen im Nebenzimmer und das hemmte mich unwahrscheinlich. Als ich Emmanuel das sagte, zeigte er sich verständnisvoll, und so lagen wir dann engumschlungen in meinem Bett. Und schon allein das war wunderschön. Manu`s Haut und Wärme zu spüren gab mir ein tiefes Gefühl der Geborgenheit.

Emmanuel und ich waren schon seit mehr als vier Monate zusammen, als der Wunsch, unser Grafenhaus in Simgard zu sehen, bei mir übermächtig wurde.

 

Ich war mit Emmanuel und meinen Eltern bei uns beim Frühstück gesessen, als ich das Thema angesprochen hatte. Alle drei waren dagegen gewesen. Und nur, weil ich sie überzeugt hatte, dass ich die Sache überwunden hatte, gaben sie sich geschlagen.

 

Am nächsten Samstag fuhr ich also mit Manu nach Simgard. Fünf Kilometer, bevor wir da waren, hatte Emmanuel auf mich eingeredet, ich solle sofort sagen, wenn es mir zuviel werden würde. Dann würde er mit mir gehen. Den letzten Kilometer hatten wir schweigend verbracht und ich hing meinen Gedanken nach.

 

Gleich würde ich das Haus sehen, in dem ich fast gestorben wäre. Das Haus, das gebrannt hatte und das sicherlich sehr beschädigt war. Das Haus, das meinen Vorfahren gehört und um das mein Großvater und mein Vater jahrelang gekämpft hatten.

Ich hatte mir wirklich viel vorgestellt, aber als ich vor dem Haus bw. dessen Rest stand, haute mich das fast von den Füßen, so schlimm war der Anblick für mich.

 

 

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